Die Labourbasis will die EU nicht verlassen

Danke, May

Die Labour-Partei ist sich uneins über den britischen EU-Austritt. Eigentlich will sie Neuwahlen. Doch es fehlt ihr an Ideen für eine zukünftige wirtschaftspolitische Ausrichtung des Landes.

Seit dem Referendum über den EU-Austritt im Juni 2016 streitet die Linke in Großbritannien über den Umgang mit dem Votum der Bevölkerung und der Ausrichtung der zukünftigen Handels-, Wirtschafts- und Migrationspolitik. Die Labour-Partei, seit 2010 in der Opposition und seit 2015 unter dem Vorsitz Jeremy Corbyns, spiegelt diese Debatte wider, was zu großen inneren Widersprüchen führt. Nicht zuletzt werden diese ausgehalten, weil es durch das Mehrheitswahlrecht kaum Spielräume für eine Parteigründungen gibt.

Schon lange vor dem Referendum war Corbyn erklärter Euroskeptiker. Wie sein politischer Ziehvater, der EU-Gegner Tony Benn, versteht Corbyn die EU als Motor neoliberaler Reformen. Die wettbewerbsfokussierten Regelungen des EU-Binnenmarkts, der traditionell strikte Monetarismus der europäischen Währungspolitik sowie die Beschränkung staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft behindern demnach eine an sozialistischen Prinzipien orien­tierte Wirtschaftspolitik.

Die Korrelation zwischen dem wirtschaftlichen Status der Wähler und deren Haltung zur EU ist in Wirklichkeit relativ gering. Viele sehr wohlhabende Briten stimmten für leave, und fast sämtliche ländliche Wahlkreise in Mittelengland, die fast immer konservativ wählen, stimmten ebenfalls für den EU-Austritt. Viel stärker als der individuelle sozioökonomische Status bestimmte das Alter das Wahlverhalten beim Referendum. Am deutlichsten korrelierte die Befürwortung des EU-Austritts mit der Zustimmung zur ­Todesstrafe.

Nach Corbyns Wahl zum Parteivorsitzenden unterstützte Labour in der Opposition das Referendumsgesetz des damaligen konservativen Premierministers David Cameron. In der Referen­dumskampagne hielt sich Corbyn weitgehend zurück, auch wenn er mit der Mehrheit der Partei offiziell für remain, also den Verbleib in der EU, eintrat. ­Bereits einige Stunden nach dem Referendum, und früher als alle erklärten Austrittsbefürworter, argumentierte er für die Anwendung des Artikels 50 des Vertrags über die Europäische Union, der den Austritt eines Mitgliedsstaats regelt. Wenig später, im Herbst 2016, erklärten er und sein wirtschaftspolitischer Sprecher John McDonnell ihre Lesart des Referendums und Labours ­Ziele für die Ausstiegsverhandlungen: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit, also das Recht europäischer Bürger, sich in Großbritannien niederzulassen, müsse beendet werden. Zugleich wolle Labour aber den größtmöglichen Zugang zum europäischen Binnenmarkt er­halten, nicht zuletzt für die so oft von Corbyn und McDonell kritisierte Finanzindustrie.

Ausgerechnet eine linke Labour-Parteiführung stellte sich gegen das Recht auf Niederlassungsfreiheit. Die Kampagnen der Austrittsbefürworter im Referendum hatten offen Ressentiments gegen die Einwanderung geschürt, bereits während der Kampagne und auch nach dem Referendum kam es vermehrt zu politisch motivierten und rassistischen Attacken. Ein Rechtsextremer ermordete etwa die EU-freundliche Labour-Abordnete Jo Cox. Diese An­griffe trafen relativ wahllos nichtweiße Briten, europäische sowie andere Migranten.

Während Corbyns Labour-Partei die Angriffe verurteilte, wurde dort zugleich viel Verständnis für die Schwierigkeiten englischer Arbeiter und Arbeitsloser in strukturschwachen Wahlkreisen geäußert, die traditionell Labour wählten, im Referendum aber für den Austritt gestimmt hatten. Euroskeptische Labour-Politiker sagten, ihre Stammwählerschaft sei selbst­verständlich nicht rassistisch, aber die Einwanderung vor allem aus Osteuropa habe das lokale Lohnniveau gedrückt. Sie ignorierten nicht nur sämtliche Erkenntnisse über die Auswirkungen der EU-Migration auf den britischen Arbeitsmarkt. Sie interpretierten auch die Demographie der Abstimmung auf eine sehr verengte Weise.