07.02.2019
Der Verfassungsschutz hält die AfD für verfassungsfeindlich – aber nur ein bisschen

Nicht hinreichend verdichtet

Der Verfassungsschutz sieht bei der AfD »erste tatsächliche Anhalts­punkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik«, will sie aber dennoch nicht als »Verdachtsfall« behandeln.

Die Tendenz war absehbar, die eine oder andere Überraschung bietet das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz zur AfD dann aber doch. Das Portal Netzpolitik.org hat das interne Gutachten Anfang vergangener Woche auf eigene Faust veröffentlicht. Es findet sich darin beispielsweise eine interessante Feststellung über Björn Höcke. Der hatte 2015 verkündet, er habe niemals für eine NPD-Zeitung geschrieben und er werde jeden juristisch belangen, der das behaupte. Es geht um die Frage, wie nahe Höcke als Anführer des völkischen »Flügels« in der AfD den noch brauneren Schmuddelkindern steht, von denen sich die AfD offiziell gern distanziert. Hat der thüringische Landes- und Fraktionsvorsitzende unter dem Pseudonym Landolf Ladig unter anderem für ein re­gionales Blatt der neonazistischen NPD geschrieben? Der Verfassungsschutz (VS) kommt in dem »Gutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der ›­Alternative für Deutschland‹ (AfD) und ­ihren Teilorganisationen« zu der Schlussfolgerung, Höcke sei »mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit« Landolf Ladig.

Während die Verbindungen zu neurechten Netzwerken offensichtlich sind, versucht auch der VS, die Nähe der AfD zu traditionelleren extrem rechten Organisationen – konkret etwa zur NPD – herunterspielen. Obwohl gerade von den östlichen Landesverbänden immer wieder bekannt wird, dass Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten zuvor bei der NPD aktiv waren, sieht der VS »ein quantitativ und qualitativ äußerst geringes Ausmaß entsprechender ­Verbindungen zwischen AfD und NPD«.

In dem offenbar hektisch zusammengestellten Dokument, das als »Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch« eingestuft ist, werden ausführlich die Verbindungen der AfD in das extrem rechte Milieu und zu völkischem Gedankengut festgehalten. Mehr als zwei Drittel der Quellen stammen von AfD-Mitgliedern und -Funktionären, überwiegend aus Facebook-Postings oder den vielen Youtube-Kanälen, die Aufnahmen extrem rechter Demonstrationen verbreiten.

Doch selbst die zahlreichen entlarvenden Aussagen, die die Menschenwürde angreifen und sich vor allem gegen Minderheiten richten, reichen dem VS zufolge nicht aus, die Gesamtpartei als sogenannten Verdachtsfall einzustufen. Zwar lägen dem Bundesamt »erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik der AfD« vor, aber: »Diese Verdachtssplitter sind aber nicht hinreichend verdichtet, um eine systematische Beobachtung, auch unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, ein­zuleiten.« Zudem sei die Partei im Bundestag und in allen Landesparlamenten vertreten, was bedeute, dass »in ihrer aktiven politischen Rolle also der Wählerwille zum Ausdruck kommt«. Das Ausmaß der Zustimmung gilt dem VS offenbar als Maßstab der Verfassungsfeindlichkeit.

Dabei stellt die Behörde in dem Gutachten, meist mit Verweis auf Recherchen von Antifaschisten und Journalisten, sogar fest, dass in der AfD bis in die Funktionärsebene Verbindungen zu Neonazis und anderen Rechtsextremen gepflegt werden. Beispielsweise beobachten die Verfassungsschutz­behörden die Identitäre Bewegung (IB) in Deutschland als Verdachtsfall. »­Äußerungen von AfD-Führungsfunktionären« zeigten »kein klares Bild einer Distanzierung oder Ablehnung«. Im »Übergangsbereich zwischen neurechten und rechtsextremistischen Spektren« seien zudem »Verbindungen von AfD-Führungsfunktionären zum ›Institut für Staatspolitik‹ (IfS) und zur Initiative ›Ein Prozent‹ festzustellen«.

2016 sagte der sachsen-anhaltinische AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider ganz offen, dass man von der IB über »Ein Prozent« bis Pegida mit »Bürgerbewegungen und Widerstandsgruppen jeder Art« zusammenarbeite, die AfD sei »ein weit ausgespanntes Netz«. Schon länger ist sichtbar, dass unter dem Schirm der AfD sämtliche neurechten Kräfte zusammengeführt werden. Trotz gültigen Unvereinbarkeitsbeschlusses für ehe­malige NPD- und IB-Mitglieder, wirbt die Partei offen um dieses Milieu.

Während die Verbindungen zu neurechten Netzwerken offensichtlich sind, versucht auch der VS, die Nähe der AfD zu traditionelleren extrem rechten Organisationen – konkret etwa zur NPD – herunterspielen. Obwohl gerade von den östlichen Landesverbänden immer wieder bekannt wird, dass Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten zuvor bei der NPD aktiv waren, sieht der VS »ein quantitativ und qualitativ äußerst geringes Ausmaß entsprechender ­Verbindungen zwischen AfD und NPD«. Zahlreiche AfD-Funktionäre waren einst selbst im extrem rechten Milieu aktiv. Ähnlich wie der österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) versuchen sie, ihre Vorgeschichte zu leugnen oder zu verharmlosen.

Ein Beispiel ist Höcke, der neben seiner mutmaßlichen Schreibtätigkeit für ein regionales NPD-Blatt auch am neonazistischen Trauertag in Dresden im Jahr 2010 teilnahm. Höcke behauptet, er habe sich lediglich ein Bild von dem Aufmarsch verschaffen wollen. Der Verfassungsschutz konstatiert, diese Äußerung sei »wenig überzeugend«.

Ein anderes Beispiel ist der brandenburgische Landes- und Fraktionsvorsitzende Andreas Kalbitz. Er war Autor des Mitteilungsorgans des neonazistischen »Witikobunds« und der Mitgliederzeitung der vom VS als »rechts­extremistisch« eingestuften »Jungen Landsmannschaft Ostpreußen«. Darüber hinaus gibt es Fotos von Kalbitz aus dem Jahr 2007 in grünlicher Kleidung mitten in einem Zeltlager der 2009 verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend«. Ähnlich wie Höcke 2010 in Dresden, hatte sich auch Kalbitz offenbar nur verlaufen, denn zur HDJ-Verbindung sagte er dem ARD-Magazin »Kontraste«, er erinnere sich nicht daran und sei vermutlich nur als Gast dort gewesen, um sich »das mal anzuschauen« – er »sehe da kein Problem«.

Die beiden sind nicht die einzigen mit solch offensichtlichen neonazistischen Verbindungen. Ebenfalls in der HDJ waren ein ehemaliger Mitarbeiter des Parteivorsitzenden Alexander Gauland und ein ehemaliger persönlicher Referent des kürzlich ausgetre­tenen André Poggenburg. Der Pressesprecher der AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Robert Offermann, soll Mitglied in der »Jungen Landsmannschaft Ostpreußen« gewesen sein. Auch zu Nazikameradschaften bestehen Verbindungen. Der Landtagsabgeordnete Ralph Weber in Schwerin stellte den gewaltbereiten Neonazi Marcus G. als Mitarbeiter ein. Der war einst Mitglied in der 2005 verbotenen Berliner »Kameradschaft Tor«. Später studierte er Jura an der Universität Greifswald und nahm unter anderem an NPD-Demonstrationen zum 1. Mai oder beim jährlichen neonazistischen Trauermarsch in Demmin am 8. Mai teil.

Offenbar über sein Studium entstand der Kontakt zu ­Weber, der zudem im Rahmen seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor Doktorvater eines Mitglieds der 2014 verbotenen »Widerstandsbewegung Südbrandenburg«, auch bekannt als »Spreelichter«, war. Ehemalige Mitglieder dieser Bewegung sollen auch beim Verein »Zukunft Heimat e. V.« ­aktiv sein, deren Sprecher Christoph Berndt vor kurzem auf den zweiten Listenplatz der AfD für die brandenbur­gische Landtagswahl gewählt wurde.

Trotz dieser Vielzahl derzeitiger und früherer Verbindungen in die neonazistische Szene kommt der Verfassungsschutz zu der Feststellung, dass lediglich der völkische »Flügel« und die Jugendorganisation »Junge Alternative« als Verdachtsfälle einzustufen seien, denen »extremistische Bestrebungen« nachgewiesen werden können. Vielleicht ist das auch besser so: Immerhin hatte der Einsatz »nachrichtendienstlicher Mittel« in der Vergangenheit oft erst die personelle und finanzielle Absicherung extrem rechter Gruppen bewirkt – man denke nur an die Entstehung des NSU aus dem »Thüringer Heimatschutz«.