Small Talk mit der Historikerin Susanne Willems über das Scheitern des »Gedenkorts Fontanepromenade 15« in Berlin-Kreuzberg

»Schikanepromenade«

Die Historikerin Susanne Willems engagiert sich in der Initiative »Gedenkort Fontanepromenade 15«. 26 000 Jüdinnen und Juden verpflichtete die an dieser Adresse in Berlin-Kreuzberg nach den Novemberpogromen 1938 gegründete Zentrale Dienststelle für Juden bis Kriegsende zur Zwangsarbeit. Die Jungle World hat mit Willems darüber gesprochen, warum die Versuche scheiterten, dort einen Gedenk­ort einzurichten.

Was hat Sie veranlasst, sich Ende Januar an einer Kundgebung unter dem Titel »Obdachloser Gedenkort Fontanepromenade 15« zu beteiligen?
Die Kundgebung zum Gedenken an alle Opfer des Nationalsozialismus fand in der Fontanepromenade vor der Nummer 15 statt, weil das Arbeitsamt genau dort Ende 1938 die Zentrale Dienststelle für Juden eingerichtet hatte, die Zehntausende Berliner Juden der Zwangsarbeit in Berliner Betrieben zuwies. Die Verfolgten nannten den Ort Schikanepromenade. Der Gedenkort Fontanepromenade 15 ist obdachlos geblieben, weil die Senatskulturverwaltung den Verein »Gedenkort Fontanepromenade 15« im Dezember 2017 aus den vor dem Abschluss stehenden Vertragsverhandlungen gedrängt hat, ohne diese in den folgenden drei Monaten überhaupt zu führen. So wurde der Eigentümer aus seiner Zusage entlassen, Räume für den Gedenkort zu vermieten, und fühlte sich an den dem Verein zugesagten Mietpreis nicht mehr gebunden. Dann hat der Kulturstaatssekretär Ende März 2018 den Gedenkort beim Eigentümer telefonisch abgesagt.

Gab es unterschiedliche Vorstellungen der »Stiftung Topographie des Terrors« und der »Initiative Gedenkort Fontanepromenade 15« über die Ausgestaltung des Gedenkorts?
Nein. Die Stiftung wollte, so der Gesprächsstand im Herbst 2017, der Initiative, die ihre Konzeption für die Erinnerungsarbeit als forschungsbasierte Bildungsarbeit im Jahr 2017 öffentlich vorgestellt hatte, gerade nicht reinreden in inhaltlichen Fragen. Weil die Erinnerungsarbeit, so lauten die einstimmigen Beschlüsse des Haushaltsausschusses und der Mehrheitsbeschluss des Abgeordnetenhauses, aus einem entsprechend erhöhten Zuschuss an die Stiftung finanziert und in Zusammenarbeit mit dem Verein »Gedenkort Fontanepromenade 15« entwickelt werden sollte, haben wir uns seit Januar 2018 wiederholt um das Gespräch mit der Stiftung bemüht – leider vergeblich.

Was sagen Sie zur Darstellung der Pressestelle der zuständigen Senatsverwaltung für Kultur, dass der Gedenkort Fontanepromenade 15 unter anderem an juristischen und finanziellen Fragen gescheitert sei?
Das Problem war die Gemeinnützigkeit des Gedenkorts. Als der Kultursenator die gleichfalls gemeinnützige »Stiftung Topographie des Terrors« beauftragte, Räume im Gebäude Fontanepromenade 15 anzumieten, hat er es versäumt, mit dem Finanzsenator zu klären, wie sich dadurch möglicherweise ergebende steuerliche Nachteile für den Eigentümer kompensiert werden könnten.

Gibt es weitere Beispiele, wo Investoreninteressen Gedenkorte verhinderten?
In jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Erinnerung an die Naziverbrechen waren in Berlin geschichtsbewusste Bündnisse erfolgreich, attraktive Grundstücke der Spekulation zu entziehen: das Gelände der heutigen Topographie des Terrors, das des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, perspektivisch das des wachsenden Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Niederschöneweide und auch das Tempelhofer Feld. In Lichter­felde droht ein Wohnungsbauvorhaben ein Zwangsarbeitsareal der Reichsbahn einzuebnen, in Kreuzberg wird um die Erinnerung an die Zwangsarbeit auf dem Gelände der Bockbrauerei, des Dragonerareals und des Postgiroamts gestritten.