Das neue Album von Die Heiterkeit

Rückblick aus erster Hand

Stella Sommer hat das neue Album ihrer Band Die Heiterkeit größtenteils selbst eingespielt. Auf ihm zelebriert sie das denkende Denken, Einsamkeit und das Sehen als distanzierten Kontakt.

Bei aller Euphorie über das Erscheinen eines neuen Albums einer geschätzten Band birgt doch der Ausruf, dass diese endlich zurück sei, einen stillen Vorwurf. Es sind die egozentrischen Fans und Kritiker, die zuweilen künstlerische Produktivität ­etwas unfair an der Frequenz von Plattenveröffentlichungen messen. Die Zeit dazwischen scheint verloren zu sein, so als hätte die Band ihre Vitalfunktion heruntergefahren, sich in einen Tiefkühler gepackt oder der nächsten Krise anheimgegeben. Selbstverständlich nur, um dann wieder ins Rampenlicht zurückzukehren. Diesem verengten Blick entgehen dabei Nebenschauplätze, die nicht weniger interessant sind und am Ende die Fortentwicklung einer Band garantieren. Sei es, dass sich die Mitglieder temporär anderen Projekten und Kunstformen widmen oder der Brotarbeit, weil: Miete, Strom, Gas.

So verhält es sich auch mit der seit 2010 bestehenden Band Die Heiterkeit, deren neues Album dieser Tage veröffentlicht wird. Das Erscheinen der famosen Vorgängerplatte »Pop & Tod I+II« liegt zwar fast drei Jahre zurück, doch seitdem ist viel passiert. Wieder einmal hat sich etwas im Bandgefüge verändert, ein Prinzip, das seit der Gründung waltet, so dass jede Veröffentlichung stets personell wie auch stilistisch überrascht. Von der Vorgängerbesetzung sind der Schlagzeuger Philipp Wulf und die Sängerin Stella Sommer geblieben. Aufgenommen hat erneut Moses Schneider, der diesmal zusätzlich den Bass spielt. Die Bläser auf dem Album sind Jérôme Bugnon zu verdanken, dem Posaunisten der Berliner Band Seeed. Den beachtlichen Rest der musikalischen Arbeit an diesem opulent instrumentierten Werks übernahm Stella Sommer selbst. Sie ist von Beginn dabei, gewissermaßen der Kern dieses Band­projekts.

Stella Sommer braucht sich nicht zu sorgen. Wie der Meeresgott Proteus erhebt auch sie die Polymorphie zum Prinzip.

Die aufmerksame Hörerschaft dürfte sich deshalb in der besagten Zwischenzeit gut versorgt gefühlt haben. So hat sich Sommer beispielsweise mit Max Gruber alias Drang­sal zusammengetan. In bester Schulchormanier frönen sie seit 2017 als Die Mausis dem mehrstimmigen Gesang und entwerfen süßtraurige Melodien, für die man sich sieben Katzenleben wünscht, nur um sie lang genug hören zu dürfen. 2018 brachte Sommer mit »13 Kinds of Happiness« ihr erstes Soloalbum heraus, eine großartige Platte, für all jene, die sich ohne Scheu der Einsamkeit hingeben wollen. Auch das neue ­Album »Was passiert ist« verspricht einen Rückblick auf die vergangenen Jahre, sozusagen aus erster Hand.

Der Titeltrack des Albums kommt trotz großer Würde ausgesprochen luftig daher. Das verhallte Schlagzeug, der munter geschüttelte Schellenring, der im Refrain dazustoßende, extrem locker gezupfte Bass und das Spiel der flimmernd sphärischen Streicher beschwören keine Nostalgie herauf, sondern verbreiten verträumten Optimismus. Allerdings, mit Fakten wartet Stella Sommer nicht auf. So ist die vermeintliche Bilanz mehr Stimmungsbild als Report: »Was passiert ist, ist nicht traurig/Es sieht schön aus, doch ist launisch/Was passiert ist, ist von Gewicht/Mal sehen wir gleich aus, mal sehen wir uns ähnlich/Ist es ein ­Anfang oder ein Ende?/Was passiert ist, das spricht Bände«. Überhaupt, »Was passiert ist, weiß hier niemand«, weder das Ich noch das Du, geschweige denn das Wir. Alle ziemlich planlos, alle erfrischend ausgeglichen. Selbst die Posaune mit ihrem kurzen Intermezzo bläst keineswegs Trübsal. Im Song als retardierendes Moment dramaturgisch clever eingepflegt, hängen ihre Töne für einen Augenblick in der Luft, völlig ungewiss, in welche Richtung sie wohl kippen werden. Es bahnt sich etwas an – dies ist die einzige Gewissheit. Und spätestens wenn Sommer den Song mit der Zeile beschließt »Ich nehme deine Hand«, beginnen die Spekulationen darüber, wen dieses Du meint.

Zuvor aber der Sprung ins kalte Wasser: So vermittelt es das Klangbild des zweiten Songs »Im Fluss«. Zu Beginn ertönt ein zaghaft angeschlagenes Klavier, getragen von der Einspielung kurzwelligen Seegangs. Beide Tonspuren tasten sich in den Vordergrund, werden angereichert mit kam­mer­mu­si­ka­lischen Arrangements. Das mutet pittoresk an, doch die Ernüchterung kommt , sobald Sommer mit ihrem Gesang ansetzt und sich in ihrem Text ein Subjekt konstituiert, das sich auf die Komplexität und Inkonsistenz des Daseins einlässt und dem eine hintersinnige Diagnose entschlüpft: »Ich bin fix und fertig gegenwärtig«. Das erinnert an Marcus Steinwegs Prämisse eines, wie er es nennt, denkenden Denkens: »Es gibt kein Denken, das sich nicht in die Krise des Selbstverlusts stürzte, um inmitten des Gegebenen auf dessen Inkonsistenz ausgerichtet, kritisches Denken des kritischen Zustands der Welt zu sein. Wer denkt, denkt bereits gegen sich, entzieht sich seiner Gewissheiten, destabilisiert das Paradigma, indem er sich bewegt.« Auch Sommer weiß darum: »Im Fluss bist du/bewegst dich immer wieder auf mich zu/Immer wieder immer/Ich bin starr und statisch undogmatisch/Es passiert und passiert nichts/Du bewegst und bewegst dich.«

Schließlich bringt Sommer am Songende die Allegorie des Wassers ins Spiel. Sie phrasiert das Wort »Fluss«, bringt den Einsilber zum Hüpfen, indem sie dessen Vokal mehrmals wiederholt, ganz so als vervielfältige sich dieser und damit auch das Wort. Es ist, als ob Wasser in Wasser griffe.

Derlei Spitzfindigkeiten prägen die gesamte Platte. So ist ausgerechnet ihr peppigster Song eine Apologie der Einsamkeit. »Das Wort« ist ein knalliges Stück Synthiepop, dessen beschwingtes Pathos zu einem affirmativen Umgang mit jenem äußerst unangenehmen­ Zustand einlädt: »Komm’ zu mir / leg die Blumen vor die Tür/Ist dir nicht kalt? Ist dir nicht warm?/Es ist alles ganz egal/Es liegt mir auf der Zunge/Ich komme ganz dicht ran«. Nachdem Sommer in etlichen Bildern zeigt, wie ihr diese Einsamkeit bewusst wird, bricht sie schließlich deren Bann, indem sie es einfach mal ausspricht: »Man nennt es einsam. Das Wort dafür ist einsam.« Das ist nicht ohne Witz, suggeriert doch der schulmeisterliche Gestus, dass hier von einer ganz und gar kuriosen Erscheinung die Rede wäre.

Für das in Sommers Texten angesprochene Du gibt es diverse Aufschlüsselungen, die sich allesamt überlagern. Es greifen Lesarten, die darin einen engen Freund oder die Personifikation eines mentalen Zustands erkennen wollen. Wie schon auf den Vorgängeralben wird gleichfalls auf dem aktuellen nicht viel geredet, sondern vor allem geschaut. Das Sehen als Kontakt auf Distanz wird geradezu zelebriert, wie im balladenhaften »Ich sehe Dich am liebsten«. Da begnügt sich das Subjekt mit dem Betrachten der Fotografie auf Instagram oder dem Schatten an der Wand. Es ist eine Ode an den berührenden Blick, wenn Sommer in zärtlicher Zuwendung singt: »Du bist ein Geheimnis/ein verschwommener Bereich/ein Umriss in der Ferne/den man nie erreicht/Ich sehe dich am liebsten«. Auf ausgeklügelte Weise reflektiert Die Heiterkeit das Phänomen der Faszination, das dem Fandiskurs ganz wesentlich ist und sich im Spannungsverhältnis von Distanz und Berührung, Blindheit und Vision, Nichtwissen wie Wissenwollen zeigt. Ist das Faszinosum jedoch einmal entschlüsselt, ist es dahin. Für den Fan ist die Kategorie des Unauflöslichen daher entscheidend für den Lustgewinn – ohne codierten Rest besteht kein Grund zur Rückkehr zum Idol.

Stella Sommer braucht sich nicht zu sorgen. Wie der archaische Meeresgott Proteus erhebt auch sie die Polymorphie zum Prinzip. Selbst­bewusst schlüpft sie auf dem Album in die Rolle des genderfluiden Troubadours oder der Schicksalsgöttin. Dennoch: Ohne die Bestätigung eines Publikums ist alles nur der halbe Spaß. Und so vergewissert sich Sommer am Ende des Albums: »Siehst du wie die Blumen wachsen?/Siehst du wie sie sich wehren?/Ein Faible fürs Besondere/Hast du mich noch gern?«

Die Heiterkeit: Was passiert ist (Buback)