Klassenkampf - Elterngespräche

Mit Eltern reden

Kolumne Von

Der Unterrichtsschluss an unserer Schule ist um vier Uhr, um sechs wird die Tür abgeschlossen und das Schulgebäude steht leer, öd und traurig bis zum nächsten Morgen, wenn wieder Kinderlachen durch die Gänge schallt und der Geruch von warmem Kaffee und frischem Angstschweiß die toten Räume zu neuem Leben erweckt. Nur heute nicht, heute muss niemand traurig sein und nach Hause gehen, denn heute ist Elternsprechtag. Der geht zwei Stunden lang, theoretisch, tatsächlich dauert er unterschiedlich lange, wie lange genau hängt von der einzelnen Lehrerin ab und vom Elternteil, von den Sternen und davon, wann der stellvertretende Schulleiter, der am Ende alles abschließen muss, keine Lust mehr hat zu warten.

Da der Elternsprechtag zumindest an meiner Schule so eingerichtet ist, dass nur jene Eltern, deren Kinder zum Halbjahr eine Vier minus, Fünf oder gar eine Sechs in einem Fach bekommen haben, mit den Lehrerinnen in diesem Fach sprechen sollen, ergibt sich der Andrang bei der einzelnen Lehrerin hauptsächlich daraus, wie viele schlechte Noten sie gegeben hat. Ich kenne Lehrerinnen, die keine Fünfen geben, weil sie gerne früh zu Hause sind. Die Länge des einzelnen Gesprächs, für das fünf bis 15 Minuten vorgesehen sind, wird letztlich davon bestimmt, wie viel sich die Gesprächspartner zu sagen haben, wie groß das Sendungsbewusstsein der Lehrerin ist, ob der Elternteil kritische Nachfragen stellt und inwieweit alle Beteiligten Deutsch sprechen können. Aus Perspektive der Schule ist die Hauptfunktion des Elternsprechtags, einen »Förder- und Hilfeplan« genannten Zettel ausfüllen, unterschreiben und in die jeweilige Schülerakte abheften zu lassen.

Die Eltern andererseits wollen meist ihrem Kind helfen, manchmal mit der Lehrerin schimpfen und oft darüber reden, dass das Leben sehr schwer ist. Sie sind häufig verwirrt, wenn der Zettel herausgeholt wird, weil der Zettel nur ein Zettel ist und für keines dieser Probleme hilfreich erscheint.

Die Lehrerinnen wiederum wollen dem Kind irgendwie auch helfen, manchmal mit dem Elternteil schimpfen und oft darüber reden, dass ihr spezielles Leben noch schwerer ist als das der Eltern, zum Beispiel deswegen, weil sie diesen Zettel unbedingt ausgefüllt und unterschrieben bekommen müssen. Auf dem Zettel werden dann Hilfsmaßnahmen für das Kind angekreuzt, etwa »holt Lernstoff eigenständig nach«, »schließt Lernpartnerschaften mit Mitschüler/inne/n« oder »liest ein Buch«. Inzwischen sagt das Kind, dass es mit den blöden Strebern nichts zu tun haben wolle, der Elternteil sagt, dass das Kind Lesen hasse und niemals ein ganzes Buch lesen werde, und alle am Tisch wissen, dass das Kind den Lernstoff nicht eigenständig nachholen kann. Am Ende wird der Zettel dann unterschrieben, kopiert und ab­geheftet und alle können endlich nach Hause gehen.