Der Präsidentschaftswahlkampf in der Ukraine wird immer härter geführt

Mit harten Bandagen

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Poroschenko hat als amtierender Präsident den Vorteil, über die Ressourcen des Staats zu verfügen. Er veranlasste nicht nur eine einmalige Bonuszahlung in Höhe von 80 Euro an die bitterarmen ukrainischen Rentner, sondern soll auch loyale Regionalregierungen ermuntert haben, Geld aus Sonderfonds an mögliche Wählerinnen und Wähler zu verteilen.

Um zumindest seinen kleinen Unterstützerkreis bei Laune zu halten, stützt sich Poroschenko – seinem Wahlspruch  »Armee, Sprache, Glaube« folgend – auf nationalistische Identitätsfragen wie die Schaffung einer unabhängigen Ukrainischen Orthodoxen Kirche oder die sprachliche Ukrainisierung des öffentlichen Raums. Vor allem aber präsentiert er sich als Garant für die Sicherheit der Nation und versucht seine Konkurrenten mit Instabilität und Unsicherheit in Verbindung zu bringen.

Das hat ihn wohl auch für seine westlichen Unterstützer attraktiv gemacht, die Poroschenko trotz allem offenbar als zumindest bekanntes Übel favorisieren. »Was ich nicht mag, ist die Stille des Westens, während im ganzen Land versucht wird, die Wahlen durch Bestechungsnetze zu manipulieren«, kritisierte der Parlamentsabgeordnete Serhij Leschtschenko, der dem liberalen Reformlager zugerechnet wird, im Februar auf seiner Facebook-Seite. Offenbar verwendeten »einige westliche Freunde der Ukraine« zweierlei Maß. Es wäre ein »ernster Fehler des Westens«, wenn er einen »korrupten, aber bekannten Kandidaten« unterstützen würde statt wirklich fairer Wahlen.

Die kleine parlamentarische Reformkoalition hat das Lager des Präsidenten mittlerweile verlassen und unterstützt die Kandidatur des ehemaligen Verteidigungsministers Anatolij Hryzenko. Insgesamt spielen die Reformer bei der Wahl jedoch kaum eine Rolle, weil sie keine mächtigen und finanzkräftigen Unterstützer haben.

Die ukrainische Regierung versucht unterdessen, Ängste zu schüren, um Poroschenko als alternativlos erscheinen zu lassen. Die russischen Geheimdienste würden Hunderte Millionen US-Dollar investieren, um mit verdeckten Aktionen den Wahlkampf zu manipulieren, warnte Yehor Bozhok vom ukrainischen Auslandsgeheimdienst. Das Ziel der Russen sei es, um jeden Preis Poroschenko abzusetzen. Außerdem gebe es »Fragen hinsichtlich der Loyalität anderer Kandidaten«.

Es ist fraglich, ob solche Bedrohungsszenarien ausreichen, um die Wählerschaft oder auch die westlichen Geldgeber bei der Stange zu halten. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts Ende Februar, die zum Abbruch Dutzender Verfahren gegen korrupte Regierungsbeamte führte, steigerte die Frustration des Westens. Wenn der ukrainische Staat nicht zumindest Anstalten macht, die kleptokratischen Strukturen einzudämmen, ist das Kreditprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) gefährdet – und damit die Stabilität der Ukraine.

Die US-amerikanische Botschafterin Marie Yovanovitch sagte Anfang März, »die einmalige Gelegenheit für echte Veränderungen, die sich vor fünf Jahren eröffnete«, sei bisher nicht genutzt worden. Auch die Einschüchterung unabhängiger Journalisten durch die Staatsgewalt müsse endlich aufhören.

Die Korruption ist, vielleicht sogar mehr noch als der Krieg, ein Grund für fast alle Probleme der ukrainischen Gesellschaft: für die anhaltende wirtschaftliche Unterentwicklung, die fehlenden Investitionen aus dem Ausland, die Rechtsunsicherheit angesichts korrupter Gerichte und Ermittlungsbehörden. Und Präsident Poroschenko ist eher Teil des Problems als der Lösung.

Sowohl die westlichen Unterstützer als auch die ukrainische Bevölkerung beschäftigt deshalb gerade vor allem eine Frage: Was ist von Wolodymyr Selenskyj zu erwarten? Der mögliche Aufstieg Selenskyjs, der in der Fernsehserie »Diener des Volkes« einen naiven, aber wohlmeinenden Präsidenten spielt, vom Komiker zum ukrainischen Staatsoberhaupt ist Ergebnis der tiefen Verachtung für die etablierten Politiker und Politikerinnen.

Hinter Selenskyjs Kandidatur steht der Oligarch Ihor Kolomojsky, dessen Fernsehsender Selenskyj erst zum Star und dann zum Politiker gemacht hat. Kolomojskyj hat sich mit Poroschenko überworfen und sucht offenbar einen Weg, wieder politischen Einfluss zu gewinnen.

Mittlerweile scheinen ausreichend viele Wählerinnen und Wähler – vor allem jüngere – in Selenskyj eine Alternative zu den seit Jahren in das korrupte System verstrickten Kandidaten Poroschenko und Tymoschenko zu sehen. Während diese sich gegenseitig anfeinden, tourt Selenskyj mit seiner Comedy-Truppe durchs Land, geht kritischen Journalisten aus dem Weg und pflegt sein Saubermann-Image. Da er kaum mit Skandalen belastet ist, kann er überzeugender als viele seiner Rivalen versprechen, nach der Wahl endlich gegen die Korruption vorzugehen. Unter anderem fordert er, die Immunität der Parlamentsabgeordneten abzuschaffen. Berichten zufolge traf Selenskyj sich mit zahlreichen Vertretern der EU und der USA, die mitunter an seiner Unerfahrenheit und seinem vagen Programm verzweifelten. Auch mit der Weltbank und dem IWF tauschte er sich aus und bekannte sich brav zur Fortführung der von diesen Institutionen geforderten Wirtschafts- und Rechtsreformen.

Ob sich Selenskyjs Popularität in einen Wahlerfolg wird übertragen lassen, muss sich allerdings erst noch zeigen. Anders als seine Konkurrenten verfügt er über keine große nationale Organisation und keine Machtnetzwerke. So ist zwei Wochen vor dem ersten Wahlgang noch alles offen und der Wahlkampf tritt gerade erst in seine heiße Phase ein. Die Stichwahl soll erst im April stattfinden – dann sind es nur noch wenige Monate bis zur Parlamentswahl im Oktober.