Small Talk mit Pauline Wagner von der »Kampagne gegen organisierte Leistungsverweigerung«

»Leitfaden zur Ausgrenzung«

Der Gang zum Jobcenter ist schon für deutsche Staatsbürger kein Vergnügen. EU-Bürger, die in Deutschland auf Sozialleistungen angewiesen sind, haben es noch deutlich schwerer. Die »Kampagne gegen organisierte Leistungsverweigerung« veranstaltet die Aktionswoche »Arbeiten ja – Rechte nein?!«, um auf diese Zustände aufmerksam zu machen.
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Welche besonderen Schwierigkeiten haben EU-Bürger, die hierzulande Sozialleistungen beantragen müssen?
Sie treffen beispielsweise in den Jobcentern auf erhebliche Barrieren. Diese Behörden sind nicht auf eine mehrsprachige gesellschaftliche Realität eingestellt; wer nicht gut genug Deutsch spricht, hat es grundsätzlich schwer. Zudem stellen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter EU-Bürger häufig ­unter den Generalverdacht des Leistungsbetrugs. Ich habe selbst schon EU-Migrantinnen zum Jobcenter begleitet und habe wiederholt erlebt, dass Sachbearbeiter es generell ablehnen, dass Menschen ohne deutschen Pass Leistungen beziehen. Sie verhalten sich wie eine Grenzpolizei, die den deutschen Sozialstaat vor vermeintlichem Missbrauch durch Migration beschützen muss. Deutschen Beziehern von Hartz-IV-Leistungen wird ja ebenfalls häufig unterstellt, sie seien faul und wollten nicht arbeiten. Bei Antrag­stellern ohne deutschen Pass ist das noch krasser. Die Sachbearbeiter prüfen solche Fälle viel gründlicher, zögern den Leistungsbezug lange hinaus oder lehnen ihn ab. Sie handeln dabei häufig rechtswidrig. Und wenn die Leute dann Leistungen beziehen, werden sie besonders drangsaliert, beispielsweise mit Haus­besuchen oder vielen Maßnahmen.

Verschärft sich die Lage?
Unsere Kampagne richtet sich vor allem gegen ein neues Gesetzesvorhaben der Bundesregierung: EU-Bürgerinnen und -Bürger, die nicht erwerbstätig sind, sollen kein Kindergeld mehr erhalten. Zudem sollen sogenannte Tagelöhnermärkte verboten werden, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit soll aufgestockt werden und mehr Befugnisse bekommen. Seit kurzem gibt es für die Mitarbeiter der Jobcenter auch eine interne »Arbeitshilfe« mit dem Titel »Bekämpfung von organisiertem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger«, in der sie angewiesen werden, EU-Migranten in besonderem Maße zu durchleuchten. Es ist ein Leitfaden zur Ausgrenzung prekarisierter EU-Bürger. Diese müssen dann beispielsweise Arbeits- und Wohnortnachweise über einen Zeitraum von fünf Jahren vorlegen – was angesichts prekärer Wohn- und Arbeitsverhältnisse schwierig ist. EU-Bürger, die allein zum Zweck der Arbeitssuche aufenthaltsberechtigt sind, erhalten ohnehin seit 2007 keine Hartz-IV-Leistungen mehr.

Sind EU-Bürger aus bestimmten Ländern in besonderem Maß mit solchen Schikanen konfrontiert?
Die erwähnte »Arbeitshilfe« zielt besonders auf ­Antragsteller aus Bulgarien und Rumänien ab. Das bedient explizit rassistische und vor allem antiziga­nistische Stereotype, die aus der Debatte über die sogenannte Armutszuwanderung bekannt sind. An unserer Kampagne beteiligt sich deshalb auch die Organisation Amaro Foro aus Berlin, die sich gegen Rassismus gegen Roma und Romnija richtet.

Ihre Kampagne plant eine Aktionswoche gegen diese Zustände. Was genau haben Sie vor?
Wir sind ein Netzwerk verschiedener Gruppen von Erwerbslosen, EU-Migranten, prekär Beschäftigten und Roma-Organisationen. Wir haben für die erste Aprilwoche bundesweit Veranstaltungen geplant. Am Montag wollen wir eine Pressekonferenz mit Gruppen aus Berlin und Oldenburg abhalten, in München, Oldenburg und Berlin wird es konkrete Aktionen geben. Interessierte können sich per E-Mail an uns wenden: europainbewegung@posteo.de. Unser Hashtag ist #europainbewegung.