Der Dokumentarfilm »Die Wiese«

Mehr als nur Gras

Der Naturfilmer Jan Haft beschäftigt sich mit dem Mikrokosmos der Wiese und den Gefahren, die ihm drohen.

Am 29. März läuft der Film »Die Wiese« von Jan Haft an. Für den Naturschutz ist es ein großer Schritt, wenn langes Gras auf der Kinoleinwand gewürdigt wird. Schließlich wurde im waldvernarrten Deutschland die Wiese gern vernachlässigt. Noch im 19. Jahrhundert dominierte Grasland die Landschaft in Mitteleuropa.

Äcker wurden mit Pferden oder Ochsengespannen gepflügt, und in den auf Inseln zusammengeschrumpften Wäldern mussten Menschen mit Gewalt davon abgehalten werden, Brennholz zu sammeln und zu wildern. Durch erste Balkenmähwerke wurde Mitte des 19. Jahrhunderts das sogenannte »Tagwerk« größer, also die Fläche, die ein Mensch während eines Tages mähen konnte. Wiesen wurden ab diesem Zeitpunkt intensiver genutzt, während Aufforstungsprogramme die Waldflächen wieder vergrößerten. Als dann um 1920 der Traktor in Deutschland eingesetzt wurde, schrumpfte das Wiesenland weiter. An seiner Stelle wurden Äcker angelegt, Straßen und Häuser gebaut. Phosphat ermöglichte den Ausbruch aus der Kreislaufwirtschaft. Der Düngstoff wurde zunächst von Inseln importiert, wo sich Vogelkot über Jahrtausende abgelagert hatte.

Der historischen Geringschätzung der Wiese kann Jan Haft mit seinem Film durchaus entgegenwirken, dazu bedient er sich jedoch einer recht konventionellen Ästhetik.

Als diese Vorkommen erschöpft ­waren, wich man auf Mineraldünger aus. Durch den Einsatz von Stickstoff und Phosphat wurden Wiesen dichter und grüner; damit setzte jedoch zugleich das Verschwinden von Insektenarten ein, die an weniger dichte Weiden auf mageren Berghängen oder an feuchte Sümpfe und Moore angepasst waren. Besonders freundlich wurde das Grasland hierzulande nicht mehr betrachtet. Für Gärtner waren Gräser Unkraut, Bauern verachteten die Wiesen wegen ihres im Vergleich zum Acker minderen Ertragswert. Die Wiesen wurden auf schlechte, feuchte, steile oder trockene Böden zurückgedrängt. Eigenheimbesitzer wiederum träumten von Koniferen und Exoten, pflanzten Krokusse auf ihren golfballgetesteten Rasen, weil diese Blumen als einzige das Blaukorn und den Aufsitzmäher ertrugen, während die Orchideen und mit ihnen ein Wissen von der Vielfalt der Wiese verschwanden.

Der historischen Geringschätzung der Wiese kann Jan Haft mit seinem Film durchaus entgegenwirken, dazu bedient er sich jedoch einer recht konventionellen Ästhetik. Der Naturfilmer zeigt »unsere Wiese«, die er über ein Jahr gefilmt hat. Die aus vielen Naturfilmen bekannte sonore männliche Erzählerstimme sympathisiert mit den Rehkitzen und Vogelküken und warnt stets rechtzeitig vor Gefahren. Dann sieht man das Mähwerk eines herbeibrummenden Traktors in Nahaufnahme wie im Horrorfilm dort kreiseln, wo die Feldlerche gerade ihr Nest hat. Hungrig schleicht ein Fuchs herum, wo Kitze im Gras spielen. Aber immer geht es im entscheidenden Moment gut aus, die brutale Vernunft der Natur macht eben doch Ausnahmen, die mal mit schluchzenden, mal glättenden Geigen oder einem nachdenklichen Piano untermalt werden. Sogar die Braunkehlchenküken konnten gerade noch vor dem Mähwerk davonhüpfen, was selten genug der Wirklichkeit entspricht.

Zeitlupenmagie fängt die Explosionen von Pilzen ebenso ein wie der Zeitraffer das Aufblühen des Wiesensalbeis, das von originellen Chören begleitet wird. Wollschweber als parasitäre Kuckucke, von Orchideen gehörnte Bienenmännchen, tödliche Feldgrillenkämpfe: Es wurden hier durchaus sehenswerte Makroaufnahmen versammelt, insgesamt aber gelingt es dem Film nicht, die wahre Vielfalt von Wiesen einzufangen. Man vermisst Borstgrasrasen, Heiden, Moore, Blockschutthalden, Streuwiesen, Biberwiesen, Volltrockenrasen, Windwürfe, Waldbrandflächen. Bei 10 000 heimischen Pflanzenarten und 40 000 Insektenarten ließe sich zum Stichwort »Wiese« so viel mehr zeigen als die etwas bessere Durchschnittswiese und ihre weniger charismatischen Arten. Vor allem geht es in der Do­kumentation um Rehkitze, Fuchsjunge, Küken, nochmals um Rehe, und zum Abschluss röhrt der Rothirsch. Es sind klischeehafte Bilder, die der von der Deutschen Wildtierstiftung in Auftrag gegebene Film erneut strapaziert.

Durchaus stimmig und kritisch schätzt der Film die Gefährdung der Wiese ein und nennt die Güllewirtschaft als einen der Hauptschuldigen beim Namen. »In den vergangenen Jahren«, der exakte Zeitraum bleibt unbestimmt, seien eine Million Hektar Wiese zu Ackerland umgebrochen worden, weitere 2,5 Millionen Hektar dienten der Biogasnutzung, auf insgesamt fünf Millionen Hektar Wiesen werden 200 Millionen Tonnen Gülle ausgebracht, »20 Badewannen pro Einwohner«. Das ist anschaulich erzählt, allerdings wird vernachlässigt, dass Landwirte auch mit anderen Techniken Weiden zu Gras-Monokulturen für Silage umwandeln. Der Film vermeidet es, die Vertreter der Landwirtschaft vor den Kopf zu stoßen. Der Bauer dürfe auf seinem Land machen, was er will: »Eigentlich muss er sich gar nicht rechtfertigen.« Ihm gehe es bei der Ertragsmaximierung auch nur um Zeit für Klavierstunden oder Urlaub. Das ist etwas kurz gegriffen, wenn man sich die Lobbyarbeit für Hochertragstechnik ansieht, die Landwirtschaftsbetriebe in bestimmte Techniken der Ertragsmaximierung hineingedrängt hat – oder wenn man den Einfluss der Aktiengesellschaften und Agrargenossenschaften bedenkt, die inzwischen mehrere Hundert bis Zehntausende Hektar bewirtschaften.

Die Verantwortung der Politik, etwa durch die Jahrzehnte fehlgeleiteter und naturfeindlicher Kommunalpolitik oder durch die Biospritverordnung, wird im Film ebenfalls nicht ausreichend berücksichtigt. Schließlich ist es nicht nur Sachzwang und Marktwirkung, wenn das von CDU und SPD verabschiedete Bundesartenschutzgesetz kaum Wirkung entfaltet. In Naturschutzgebieten ist jede landwirtschaftliche Praxis erlaubt. Viele Landwirte haben darüber hinaus systematisch Auflagen oder Gesetze verletzt. Etwas zu versöhnlich fragt die Stimme aus dem Off: »Gibt es keinen Weg für ein Miteinander von Artenvielfalt und moderner Landwirtschaft?« Der Film plädiert beispielsweise dafür, Subventionen mit Gegenleistungen zu verbinden und Artenvielfalt als Produktionsziel festzuschreiben. Warum Bauern­verbände, mal mit rationalen, mal mit irrationalen Argumenten, ­gegen solche Maßnahmen protestieren, bleibt offen.

Insgesamt erweckt der Film den Eindruck, als sei vieles nur gefährdet, nicht aber bereits verloren. »Der Mensch hat die Wiesen, wie wir sie kennen, geschaffen. Ihre Zukunft liegt in seinen Händen.« Dieser Aussage hätte man schon vor 30 Jahren widersprechen können, heute muss man es. Was bereits alles zerstört wurde, mit welcher Gewalt und welchem Hass auf Natur über Jahrzehnte hinweg oft gegen jede ökonomische Vernunft Quellen ein­betoniert, Feldgehölze beseitigt und Kleinstgewässer verfüllt wurden, wie Hochertragslandwirtschaft in ­kapitalistischen Verhältnissen nicht mehr sättigt, sondern durch inter­nationale Konkurrenz Kleinbauern in Rumänien oder Afrika von ihrem Land treibt, geht in einer Suggestion von künftigen Symbiosen unter.

»Die Wiese« ist ein insgesamt schöner, empfehlenswerter Unterhaltungsfilm, der seinem Publikum hoffentlich ein wenig Lust machen wird, die Vielfalt der Wiesen zu würdigen. Wirkungsvoller Naturschutz braucht jedoch andere Formate.

 

Die Wiese. Dokumentation von Jan Haft. Kinostart: 29. März