Die rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei hat gute Aussichten auf eine Regierungsbeteiligung

Odins Esten

Die rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei hat gute Aussichten, an der künftigen Regierung des Landes beteiligt zu werden. Verbindungen zu den rechtsextremen Soldiers of Odin streitet die Partei ab.

Seit der Parlamentswahl am 3. März herrscht Hochstimmung bei Estlands Rechten: Die rechtspopulistische und migrationsfeindliche Estnische Konservative Volkspartei (EKRE) erzielte mit 17,8 Prozent der Stimmen ihr bisher bestes Ergebnis und konnte die Zahl ihrer Abgeordneten fast verdreifachen – von sieben auf 19. Die Partei wird seit ihrer Gründung 2012 von Mart Helme geführt, der sie erfolgreich als Sammelbecken für die konservative Landbevölkerung, Nationalisten und »besorgte Bürger« etabliert hat.

Helme verfügt über beste Kontakte. Er war Zeitungsverleger und von 1995 bis 1999 estnischer Botschafter in Russland. Mit seinen polarisierenden ­Äußerungen schafft er es nicht nur, Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, sondern er ist auch in den estnischen Medien ein gerngesehener ­Partner für Interviews, in denen er seine homophoben, rassistischen und nationalistischen Ansichten ausbreiten kann. 2004 war Helme aus der EKRE-Vorgängerpartei Eesti Rahvaliit (Estnische Volksunion) ausgeschlossen worden, nachdem er die Errichtung eines Denkmals zu Ehren derjenigen Esten verteidigt hatte, die in den Reihen der Wehrmacht und der SS gegen die Sowjetunion gekämpft hatten. Der Grund für den Rauswurf war weniger sein in Estland weitgehend gesellschaftsfähige Geschichtsrevisionismus. Vielmehr hatte er sich öffentlich gegen seinen Parteifreund, den Innenminister Margus Leivo, gewandt, der nach internationalen Protesten den Abriss des gerade eingeweihten Monuments angeordnet hatte. Der Streit hat Helme nicht langfristig geschadet, er ist heutzutage eine Schlüsselfigur, die Verbindungen zwischen der estnischen extremen Rechten und dem gesellschaftlichen Establishment herstellt.

Wurde Helme bisher häufig als polterndes enfant terrible der estnischen Politik mit gewissem Unterhaltungswert, aber ohne Einfluss abgetan, könnte die EKRE bald den nächsten Schritt tun und an der nächsten Regierung beteiligt werden. Obwohl er eine Zusammenarbeit mit der EKRE im Wahlkampf noch kategorisch ausgeschlossen hatte, sprach Jüri Ratas, der Vorsitzende der Zentrumspartei (Keskerakond) und der derzeitige Ministerpräsident des Landes, noch in der Nacht nach der Wahl mit Helme über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit. Gemeinsam mit der nationalkonservativen Vaterlandspartei (Isamaa Erakond) befinden sich die beiden Parteien inzwischen in fortgeschrittenen Koalitionsverhandlungen.

Helme wird möglicherweise der neue Bildungsminister und könnte sich dann persönlich um die Abschaffung der vermeintlichen »Schwulenpropaganda« in den Schulbüchern kümmern. Unabhängig davon, ob die ­Koalition tatsächlich zustande kommt, dürften die Verhandlungen die Akzeptanz der ohnehin weitverbreiteten nationalistischen Ansichten im All­gemeinen und der EKRE im Besonderen weiter vergrößern.

Der stellvertretende Parteivorsitzende der EKRE ist Helmes Sohn Martin. Er sitzt wie sein Vater bereits seit 2015 im Parlament. Ob Migranten aus Nigeria oder der Ukraine kämen, mache keinen Unterschied, sagte Martin Helme nach der Parlamentswahl im Interview mit der Deutschen Welle. »Der Punkt ist, dass sie keine Esten sind.« Um den Vorwurf des Rassismus zu entkräften, fügte er hinzu: »Ich will nicht, dass Esten durch, als Beispiel, Schweden ersetzt werden. Ich will, dass Estland estnisch ist.« Noch 2013 hatte das anders geklungen. »Wenn er schwarz ist, zeig’ ihm die Tür«, hatte er damals seine Ansichten zur Migrationspolitik in einer Fernsehshow zusammengefasst. Schwarzen Soldaten der in Estland stationierten Nato-Truppen hatte er empfohlen, sich auch in der Freizeit nur in Uniform zu zeigen, um so Verwechslungen zu vermeiden.

Da die Partei den Bestand des »estnischen Volks« unter anderem durch die Migration bedroht sieht, fordert sie, die estnische Geburtenrate müsse gesteigert werden. EKRE setzt sich dafür ein, die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die öffentliche Krankenkasse zu verbieten.

Abtreibungen vorzunehmen, ist Martin Helme zufolge ein Verbrechen, zudem ver­letzten Ärzte mit dem Eingriff den hippokratischen Eid. Parteiintern wurde zudem der Vorschlag diskutiert, kinderlose Frauen mit Ende 20 zwangsweise zur »Familienplanung« einzubestellen oder ihnen staatliche Bezüge zu kürzen.

Darüber hinaus finden sich im Parteiprogramm die üblichen Versatzstücke aus dem Baukasten des modernen europäischen Rechtspopulismus: gegen die Europäische Union, Gender-Mainstreaming und den UN-Migrationspakt, den Estland allerdings wegen der Uneinigkeit in der vorherigen Regierungskoalition ohnehin nicht unterzeichnet hat. Zudem fühlt sich die Partei ständig von den »linksliberalen Medien« verunglimpft. Als Verteidige­­rin der Rede- und Meinungsfreiheit tritt die EKRE dagegen auf, wenn es um notorische Holocaust-Leugner wie Tiit Madisson und Jüri Lina geht, deren Bücher sich in Estland in der Vergangenheit gut verkauften.

Dass es nicht nur rhetorisch rauer wird in Estland, zeigte sich in den vergangenen Monaten. Bereits im August vergangenen Jahres wurde die Holocaust-Gedenkstätte in Kalevi-Liiva mit Hakenkreuzen beschmiert und teilweise zerstört. Während einer Demonstration der EKRE vor dem Parlament attackierten Teilnehmer im ­Januar den sozialdemokratischen Abgeordnete Indrek Tarand körperlich. Es war der erste Vorfall dieser Art in der jüngeren estnischen Geschichte. Mitte März wurden der Rabbi der jüdischen Gemeinde in Tallinn, Shmuel Kot, und seine Kinder vor ihrem Wohnhaus antisemitisch beleidigt.

Neben den genannten Parteien finden sich in Estland hingegen kaum rechtsextreme Organisationen. Der Grund hierfür liegt hauptsächlich darin, dass Rechtsextreme ausreichend Möglichkeiten zur meist ungestörten Betätigung in Veteranenverbänden und Sportvereinen finden. Doch es gibt auch die Soldiers of Odin. Die Gruppe wurde Ende 2015 im finnischen Kemi als »Bürgerwehr« hauptsächlich mit dem Ziel gegründet, Jagd auf vermeintlich ­illegale und gefährliche Migrantinnen und Migranten zu machen. Ein Jahr später gründete sich ein Ableger in Estland. Er gibt an, mehrere Patrouillengänge in estnischen Kleinstädten absolviert zu haben.

Hauptsächlich tritt die Gruppe derzeit aber als inoffizieller Ordnungsdienst bei Demonstrationen der EKRE in Erscheinung. Der Gründer der ­estnischen Soldiers of Odin, der bekennende Nationalist und Rassist Indrek Olm, wurde 2017 in den Vorstand des finnischen Parteibüros der EKRE gewählt. Auf einem inzwischen gelöschten Bild auf seinem Facebook-Profil waren er und Meelis Kollamaa, einer der Administratoren der Facebook-Seite der Soldiers of Odin, beim Zeigen des Hitlergrußes zu sehen. Verbindungen zwischen der selbsternannten Bürgerwehr und der EKRE bestreitet die Parteiführung allerdings vehement.

Persönliche Kontakte bestehen in jedem Fall auch zur Jugendorganisation der Partei, dem Blauen Erwachen ­(Sinine Äratus). Sie organisiert seit 2014 alljährlich zum Nationalfeiertag am 24. Februar einen Fackelmarsch durch das Zentrum der Hauptstadt Tallinn, der auch von den Soldiers of Odin offensiv beworben wurde. Die Aufmärsche werden jährlich größer, in diesem Jahr nahmen zwischen 2 500 und 4 000 Menschen teil, um estnischen Gefallenen zu gedenken – ausdrücklich auch den Kollaborateuren mit den deutschen Besatzern während des Zweiten Weltkriegs.