Berliner Landeskonzept gegen Antisemitismus

Drei antisemitische Vorfälle pro Tag

Als erstes Bundesland hat Berlin ein Landeskonzept gegen Anti­semitismus beschlossen. Statistiken zeigen, dass eine entschlossenere Bekämpfung des Judenhasses bitter nötig ist.

Unter dem ambitionierten Titel »Gegen jeden Antisemitismus! – Jüdisches Leben in Berlin schützen« verabschiedete der Berliner Senat Mitte März ein Landeskonzept zur Bekämpfung des Hasses auf Jüdinnen und Juden. Unter anderem sollen Beratungsangebote für Opfer antisemitischer Gewalt geschaffen werden, außerdem sollen Schulen und Gedenkstätten enger kooperieren. Der Beschluss erfolgte auf Vorlage des Justizsenators Dirk Behrendt (Bündnis 90/Grüne) mit Unterstützung des gesamten Senats und des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD).

Obwohl einem Sprecher der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in Berlin (RIAS) zufolge »kein anderes Bundesland« derart koordiniert gegen den Antisemitismus vorgehe, zählte die Nichtregierungsorganisation im vergangenen Jahr erneut eine Zunahme judenfeindlicher Vorfälle in der Bundeshauptstadt. Die Zahl tätlicher Angriffe habe sich mehr als verdoppelt, von 18 auf 46, und auch die Zahl der Bedrohungen sei erheblich von 26 auf 46 gestiegen. Insgesamt erfasste die Beobachtungsstelle in Berlin im vergangenen Jahr 1 083 antisemitische Vorfälle und damit 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Das sind im Schnitt fast drei judenfeindliche Vorfälle pro Tag. Auch nach Zählung der Berliner Polizei stieg die Zahl antisemitischer Gewalttaten an. Waren es demnach 2017 noch sieben gewalttätige Angriffe, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 27.

Dass die bisherigen Strategien gegen Antisemitismus nicht ausreichen, um die Betroffenen zu schützen, zeigt ein aktuelles Beispiel deutlich. Nachdem im Dezember 2017 ein Mann Yorai Feinberg, den Betreiber eines israelischen Restaurants in Berlin-Schöneberg, minutenlang antisemitisch beleidigt hatte, nahmen die Bedrohungen noch zu. Die öffentliche Skandalisierung des Vorfalls half dem jüdischen Gastronomen nicht, im Gegenteil. Feinberg bekam wochenlang judenfeindliche Anrufe und Google-Kommentare zu seinem Restaurant. Mal sei die »panierte Vorhaut« nicht »knusprig genug« gewesen, mal habe es dem Knoblauch an »Blausäuregranulat« gefehlt. Als Feinberg einige der unzähligen Beleidigungen zur Anzeige brachte, reagierte die Staatsanwaltschaft mit Schulterzucken. »In den Kommentaren, die sicherlich als unhöflich und unsachlich anzusehen sind, sind jedoch keine entsprechenden ehrverletzenden Äußerungen zu sehen«, teilte eine Staatsanwältin dem verblüfften Restaurantbesitzer mit. Das Land Berlin hat mit der Oberstaatsanwältin Claudia Vanoni im September vergangenen Jahres eigens eine Anti­semitismusbeauftragte bei der Generalstaatsanwaltschaft ernannt.

Die RIAS verweist auf Nachfrage der Jungle World darauf, dass »zivilgesellschaftliche Solidarisierungen« mit den Betroffenen von Antisemitismus der erste Schritt für eine Verbesserung der Situation darstellen könnten. Ein po­sitives Beispiel sei die Solidarisierung nach den »antisemitischen Angriffen auf Spieler des TuS Makkabi Berlin« gewesen. Eine wiederholt organisierte ­zivilgesellschaftliche »Abwehrkette gegen Antisemitismus« habe »fast 100 solidarische Zuschauer zu TuS Makkabi-Spielen gegen Meteor und den 1. FC Neukölln« mobilisiert. Seither ­seien »keine weiteren Anfeindungen in diesem Maße mehr gemeldet« ­worden.

Dem entgegen steht die Tatsache, dass sich die 2015 neu gegründete dritte Herrenmannschaft mittlerweile wieder aufgelöst hat, wie der sportliche Lei­ter des Dachverbands von Makkabi, ­Ariel Leibovici, im Februar der Taz mitteilte. Auslöser dafür seien die ständigen antisemitischen Attacken gewesen.

»Berlin lernt aus der Geschichte und zieht hinsichtlich der Bekämpfung des Antisemitismus aus den bitteren aktuellen Erfahrungen konkrete Schluss­folgerungen«, sagte der Regierende Bürgermeister Müller während der Sitzung im Abgeordnetenhaus anlässlich der Verabschiedung des neuen Landeskonzeptes. Jedoch wird die Forderung nach einer Evaluation der bisherigen statistischen Erfassung antisemitischer Straftaten vom rot-rot-grünen Senat weitgehend ignoriert. Der Abgeordnete Marcel Luthe (FDP) kritisiert das Vor­gehen des Senats als Aktionismus. Seiner Auffassung nach müsse der Anti­semitismus »an der Quelle bekämpft« und dafür auch »klar identifiziert und benannt werden«. Die bisherige Vorgehensweise bei der Erfassung antisemitischer Straftaten, wonach »jede antisemitische Tat, die nicht einem Täter ­eindeutig zugeordnet werden kann, automatisch als ›rechtsmotiviert‹ erfasst wird«, lehnt Luthe ab. Da mehr als zwei Drittel der als »rechtsmotiviert« eingestuften Delikte nicht aufgeklärt würden und kein Täter ermittelt werde, bleibe beim Gros der Taten unklar, welche Motivation genau hin­ter der jeweiligen Tat stehe.

Während sich der Berliner Landesverband und die ­Abgeordnetenhausfraktion der Linkspartei für das neue Landeskonzept gegen Antisemitismus engagierten, enthielt sich die Bundestagsfraktion der Linkspartei im vergangenen Jahr bei der Abstimmung über die Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten. Auch in diesem Jahr sorgte die Bundesspitze der Partei für eine zumindest missverständliche Kommunikation. »Weil der Islam auch in Deutschland zu Hause ist, sollte es auch einen Beauftragten gegen Muslimfeindlichkeit geben«, sagte die Bundesvorsitzende Katja Kipping der Welt. »Es wäre ein Ausdruck unserer freiheitlichen Grundordnung, dass nicht nur alle hier lebenden Menschen ihren Glauben praktizieren können, sondern dass wir Gläubige auch vor Hass und Diffamierung schützen«, so Kipping weiter. Die Linksparteivorsitzende reagierte damit auf eine Forderung des Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. Dieser hatte einen solchen Beauftragten als »notwendiger denn je« bezeichnet, weil es eine »latent antimuslimische Stimmung in Deutschland« gebe.

Eine Auswertung der innenpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Ulla Jelpke, die sich auf Angaben des Bundesinnenministeriums stützte, ergab zwar, dass die Zahl der Straftaten gegen Muslime und Moscheen zuletzt insgesamt zurückgegangen ist. Die Zahl der Personen jedoch, die von Angreifern verletzt wurden, ist gestiegen. Laut Jelpke könne »die Einsetzung eines unabhängigen Beauftragten gegen Muslimfeindlichkeit dazu beitragen, Regierung, Behörden und Öffentlichkeit stärker zu sensibilisieren und so das Vertrauen unserer muslimischen Mitbürger zu stärken«. Muslimfeindlichkeit müsse »ebenso geächtet und bekämpft« werden wie ­Antisemitismus.

Diese Gleichsetzung stößt auf Kritik. »Wer Antisemitismus – der hasserfüllt auf die Vernichtung eines Volkes abzielt – mit der Ablehnung der freiwillig gewählten politischen oder religiösen Haltung eines anderen Menschen gleichsetzen will, spielt den Islamisten in die Hände«, sagt Luthe. Der Islamismusexperte Ahmad Mansour kritisierte den Zentralrat der Muslime. Dieser wolle »vor allem berechtigte Kritik an Islamverständnissen, die Ursachen für die Radikalisierung benennt und dabei auch Muslime in der Verantwortung sieht, als islamfeindlich abtun und kriminalisieren«, so der Publizist. Einen Beauftragten, um Angriffe auf Muslime zu bekämpfen, hält er nicht für sinnvoll. Dazu benötige man die gesamte Gesellschaft.