Das Kopftuch und die Deutschen
Der Anfang ist ein bisschen enttäuschend, der Saal ist voll, es ist kurz nach zehn, gleich fängt es an und erst jetzt kommt auch mal ein Kopftuch in Sicht. Und dann gehört es noch zu einer Mitarbeiterin hier. Dabei soll es doch auf der Konferenz »Das islamische Kopftuch. Symbol der Würde oder der Unterdrückung?« des Frankfurter Forschungszentrums »Globaler Islam« vor allem um Eines gehen: um das Kopftuch eben.
(Bild: Susanne Schröter, © Oliver M. Piecha)
Aber offensichtlich eher in der Theorie als in der Praxis. Verglichen jedenfalls mit einem durchschnittlich besetzten S-Bahn-Wagen im Rhein-Main-Gebiet ist diese Konferenz tatsächlich sehr »weiß«. Und Kopftuchträgerinnen bekommt man nicht viel mehr als ein halbes Dutzend zusammen. Vielleicht sind ja auch deswegen so wenig Betroffene gekommen, weil die Konferenz im Ramadan und dann auch noch einem Freitag liegt? Eine Kritikerin hatte das ernsthaft bemängelt.
Ein paar Zeilen im Internet genügten, um ein Medienereignis herzustellen und alle Feuilletons des Landes aufzuschrecken.
Die Polizei war allerdings da, und bewachte den Eingang, denn die Konferenz hatte im Vorfeld für massives Aufsehen gesorgt. Eine obskure Gruppe hatte im Internet die Entlassung der federführenden Professorin Susanne Schröter gefordert und die eingeladene Alice Schwarzer des antimuslimischen Rassismus bezichtigt. Danach überschlugen sich sozusagen die fiktiven Ereignisse, und 700 Teilnehmer wollten sich für die 150 vorhandenen Plätze anmelden, die Universität bot sogar einen Liveblog und einen Livestream auf sowie ein public viewing.
Wer immer die Protest im Internet lanciert hat, ob es nun Islamisten waren, Verfechter postkolonialer Ideologie oder patentierte Antirassisten – aber womöglich fällt das mittlerweile auch schon alles in eins –, sie durften sich kurzzeitig als Sieger fühlen. Ein paar Zeilen im Internet genügten, um ein Medienereignis herzustellen und alle Feuilletons des Landes aufzuschrecken. Aber kaum jemand mochte öffentlich mehr als ein kleines bisschen Verständnis für den seltsamen Aufruf zu äußern, nicht einmal die üblichen Verdächtigen, das ganze klang einfach zu deutlich nach einer pubertären Allmachtsphantasie.
In Amerika (oder vielleicht an der Berliner Humboldt-Universität) mag sich in Hörsälen die Meinungsdiktatur von Snow Flakes und Social Justice Warriors etablieren, und in Paris kann Alain Finkielkraut wegen des Vorwurfs der Islamophobie seine Vorlesungen nicht mehr halten – wie Susanne Schröter mahnend in ihrer Vorrede betonte –, in Frankfurt jedenfalls hieß die Antwort: No Pasaran. Das war schon fast die Volksfront, praktisch alle waren sich einig; von der Unileitung bis zur Staatssekretärin, von der ehemaligen grünen Integrationsbeauftragten der Stadt – sie wurde ausgezischt, viele Anwesende waren nicht gut auf die Grünen und ihr Verhältnis zum Islam zu sprechen – bis zur Frankfurter Studentenvertretung, dem Asta: Alle, alle waren sie für die Freiheit des Wortes und der Wissenschaft.
Handvoll Demonstratinnen
Aber so richtig bedroht erschien die auch gar nicht. Die eine Handvoll Demonstrantinnen im Nieselregen, die man von drinnen beim Anstehen für den Kuchen nicht einmal bemerkte, dienten allerdings zur Bebilderung der Zeitungsartikeln, und später, als der Regen aufgehört hatte, war die einzige Kopftuchträgerin weit und breit im Visier einer Fernsehkamera. Dass das Catering für die Menge der Teilnehmer nicht ausreichend war, wie immer wieder im Vorraum enttäuscht zu hören war, fand in den Medien dagegen keine Beachtung.
In diesem Frankfurter Saal sitzen vor allem Menschen, von denen man den Eindruck hat, dass sie sich ganz persönlich in ihrem tiefsten Deutschland vom politischen Islam verfolgt und bedroht fühlen.
Susanne Schröter erklärte in ihrer Einführung, dass der Anlass für die Konferenz die jüngst eröffnete Frankfurter Ausstellung zur »Islamischen Mode« gewesen sei, die den politischen Kontext ausgeblendet habe. So kamen nun in Frankfurt einige der Prominenten aus der ewigen Besetzungsliste des deutschen Kopftuchdramas zu Wort: Alice Schwarzer und Necla Kelek. Was beide zu sagen hatten war so kurzweilig wie bekannt. Schwarzer erzählte noch einmal wie sie bereits vor über zwanziger Jahren als einsame Mahnerin gegen den politischen Islam stand und Kelek warb für die von Terre des femmes initiierte Petition für ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Schulen. Das war nun gerade nicht die Schuld der beiden Vortragenden, aber man konnte dabei doch auf den Gedanken kommen, das sei eine Debatte, die mindestens zehn Jahre zu spät geführt wird. Es gab ja eine Zeit, irgendwann nach der Jahrtausendwende, als es so aussehen mochte, als ob der politische Islam in Europa praktisch widerstandslos durchgewunken werden würde. Aber ist die gesellschaftliche Stimmung mittlerweile nicht eine so ganz andere? Kann man ernsthaft von »Sprechverboten» in Bezug auf Kopftücher sprechen, wie Schwarzer es tat? Über was wird denn da ununterbrochen geredet? Wenn man kurz ernsthaft darüber nachdenkt: Ist das nicht eine bizarre Aussage?
Auftritt Khola Maryiam Hübsch: Man will debattieren, also braucht man auch eine Stimme für das Kopftuch. Und Frau Hübsch kann das. Sie bedient sich gekonnt rhetorischer Taschenspielertricks: Natürlich ist sie auch für unbedingte Solidarität mit verfolgten Frauen im Iran, denen das Kopftuch aufgezwungen wird! Aber muss nicht dieselbe Solidarität auch den verfolgten Frauen im Westen gelten, die das Kopftuch nicht tragen dürfen? Bevor man antworten könnte, da habe sie sicher vollkommen recht, aber ob sie wohl kurz die Länder im Westen aufzählen könne, wo von Sittenpolizei verfolgte Frauen wegen ihrer Kopfbedeckung im Gefängnis säßen, plappert sie schon munter weiter. Es muss nämlich schnell gehen, das Reden, mit einem latent aggressiven Unterton, man soll wohl besser nicht ins Nachdenken kommen, was sie da so alles im Detail erzählt, denn die Zusammenhänge sind nicht besonders stringent.
Widersprüche zum Verschwinden bringen
Es ist eine Art süßlicher Seim, der sich da ergießt, angereichert mit modischen Vokabeln, sie ist ja »speakerin« und »word artist«, und Frauen mit Kopftuch sind in ihrer Welt coole »Hijabis«. Bald fällt auch zum erstenmal der Begriff »intersektionalistisch«. Unterhaltsam kann sie auch sein: Schwarzer habe sie in der Kaffeepause als »Hübschchen« angesprochen, ja, wer würde sich da noch wundern, dass Alice Schwarzer wie ein alter weißer Mann wirke? Bei den Schwarzer-Fans kommt das nicht gut an, und die sind hier in der absoluten Mehrzahl. Das Personal dieser Debatte ist jedenfalls so altgedient, wie das ganze fast schon wie scripted reality wirkt. Vielleicht sagt Schwarzer das jedesmal zu ihr? Hübsch hat hier nun mal die Rolle der dissidenten Kopftuchkulleraugenfrau mit dem schnellen, frechen Mundwerk. Inhaltlich ist da nicht viel zu holen, aber wie auch? Sie muss ununterbrochen offensichtliche Widersprüche zum Verschwinden bringen.
Da ist die Sache mit Gott. Sie spricht von ihrer persönlichen Religion und mehrfach fällt der Begriff der Spiritualität. Das ist nicht unwichtig. Tatsächlich gibt es im Islam mit den Sufis eine entsprechende religiöse Tradition, die auf Mystik und Spiritualität konzentriert ist und deswegen auch zum Hassobjekt der Salafisten geworden ist. Und es ist kein Zufall, dass sich im Nahen Osten, in Ägypten, oder der Türkei, die Anzeichen für eine Renaissance des Sufiislam häufen, der im Gegensatz zum puritanischen, regelbasierten von den Golfstaaten finanzierten Islam steht, wie wir ihn über die letzten Jahrzehnte praktisch nur noch gesehen haben. Aber es sei als Verdacht formuliert, dass das gar nicht die Quelle dieser islamischen »Spiritualität« ist, von der die »Hijabis« so gerne sprechen. Vielleicht sollte man eher auf den Einfluss des modernen individualisierten Christentums schauen. Es ist nämlich eine sehr westliche, individualistische Religionsauffassung, die da mit Umweltbewusstsein, Nachhaltigkeit und Spiritualität daherkommt, und die mit einem traditionellen oder gar dem politischen Islam eher weniger verbindet.
Es gibt praktisch kein Verständnis dafür, wie sich Gesellschaft entwickelt, wie Widersprüche wirken könnten, und dass generationaler Wandel etwas längerfristiges ist, das auch Ideologien transzendiert.
Hübsch findet schöne Worte, sie spricht vom Ausbrechen aus gesellschaftlichen Rollenerwartungen, wenn es um die Entscheidung Pro-Kopftuch geht, oder vom Sexismus, auf den »züchtige« (»modest«) Kleidung eine Antwort sei. Es fehlt eigentlich noch das Stichwort »Entfremdung«. Und vielleicht noch eine Erwähnung, warum es besser für das Klima wäre, Kopftuch zu tragen. In der Person von Hübsch werden wichtige Widersprüche greifbar, die das Thema »Kopftuch« so komplex machen. Eloquent stellt sie einen scheinbar durch und durch westlichen Prototypen individueller Lebensgestaltung dar.
Und dann wird am Ende ihrer Rede im Frankfurter Saal ein Flugblatt anonymer Aussteigerinnen aus der Ahmadiyya Muslim Jamaat verteilt, der muslimischen Sekte, deren Vorzeigefrau sie ist. Die anonymen Stimmen klagen über Drohungen, Druck und Benachteiligungen zumal in Hinsicht auf die Weigerung eine islamische Kopfbedeckung zu tragen. So tragisch und so banal: Autonomie und Individualismus versus gruppenbezogenes, strikt an Traditionen orientiertes Gruppenverhalten. Das ist ein echter Konflikt, da kann man noch so viel speaker und word artist sein wollen. Hier sitzen die Reibungspunkte von Menschen, die der einen und der anderen Welt angehören. Widersprüche, die sich augenscheinlich in der Person von Hübsch manifestieren, die auch immer wieder als Funktionärin ihrer Glaubensgemeinschaft in der Öffentlichkeit gewirkt hat. Insofern möchte man fast sagen, dass ihr auf dieser Konferenz ein wenig die tragische Rolle zugewachsen ist, und zum Schluss hat man fast Mitleid. So richtig mag sie hier im Saal auch kaum jemand. Darüber hinaus bleiben dann noch Fragen nach persönlicher Integrität, ob diese Widersprüche als Konflikt erlebt, unterdrückt oder bewusst verschleiert werden – sozusagen noch unter dem Kopftuch.
Da wo Hübsch in ihrer Schizophrenie als scheinbar autonome individualistische junge Frau und gleichzeitig als Repräsentantin einer islamischen Sekte scheitert, schaffen es auch andere anwesende Akteurinnen der fortwährenden deutschen Islamdebatten-Inszenierung nicht, einmal vom immergleichen Redemanuskript aufzusehen. Ein Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten der Länder des Nahen Ostens scheint völlig zu fehlen. Das ist angesichts des Ortes der Veranstaltung – einem Zentrum zur Erforschung des globalen Islam – ja schon etwas seltsam. Islam oder »politischer Islam« wird permanent als Invariante beschworen. Es gibt praktisch kein Verständnis dafür, wie sich Gesellschaft entwickelt, wie Widersprüche wirken könnten, und dass generationaler Wandel etwas längerfristiges ist, das auch Ideologien transzendiert.
Arabischer Frühling oder islamischer Rollback?
Der Nahe Osten wandelt sich, die iranische Revolution ist in ihrem 40. Jahr und der Politische Islam ein Generationenprojekt. Über all das könnte man sprechen, aber in diesem Frankfurter Saal sitzen vor allem Menschen, von denen man den Eindruck hat, dass sie sich ganz persönlich in ihrem tiefsten Deutschland vom politischen Islam verfolgt und bedroht fühlen. Mehrfach kommt die Rede auf über 50 Länder, in denen die Scharia gelte und die vom politischen Islam beherrscht sein. So ungefähr. 50 Länder! Ja, da muss man ja Angst bekommen!
Susanne Schröter zeigt in ihrem Vortrag Nahostbilder aus den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren, um zu demonstrieren, dass man damals im Irak Miniröcke und in Ägypten keine Kopftücher getragen hat. Simsalabim und schon hat man den »islamischen Rollback« gezeigt. Ganz so einfach ist die Sache nun aber nicht. Tatsächlich richtet sich die Familiengesetzgebung in fast allen islamisch dominierten Ländern an der Scharia aus (die berüchtigten Körperstrafen sind noch einmal etwas anderes, und sie werden tatsächlich nur in ein paar wenigen Ländern praktiziert wie in Saudi-Arabien oder bei den Taliban). Nur: Das war auch schon so zu den Zeiten, als die Mittelschicht in Kabul Jazzplatten gekauft hat und iranische Studentinnen noch kürzere Röcke als die irakischen getragen haben.
Und was angesichts dieser nostalgischen Fotos, die immer nur die eine Geschichte zu erzählen scheinen, dass früher alles besser war, und niemand Kopftücher getragen hat, in der Regel völlig unbeachtet bleibt, ist die Tatsache, dass zumal in den Kernländern des Nahen Ostens diese an der Scharia orientierte Gesetzgebung mittlerweile heftig umstritten ist. Menschen beiderlei Geschlechts demonstrieren dagegen, begehren dagegen auf, kämpfen für eine Änderung dieser Gesetze, die tatsächlich einen fundamentalen Einfluss auf den Lebensalltag von Menschen haben: Töchter gelten weniger als Söhne, die Scheidungsgesetze benachteiligen massiv Frauen, und in vielen Ländern sind auch erwachsene Frauen abhängig von männlichen Vormündern. Und es ist kein Zufall, dass Tunesien hier nun zum Vorreiter von revolutionären Gesetzesänderungen geworden ist, mit denen diese Art von geschlechterbezogener Differenzierung aufgehoben wird.
Das zentrale Merkmal aller Gegenden in denen der politische Islam derzeit an Boden gewinnt, ist jedoch ihre Lage in der Peripherie – vom Zentrum des Nahen Ostens aus gesehen.
Das ist eine Folge des totgesagten »Arabischen Frühlings«, zu dem Alice Schwarzer auch nur die Umformulierung zum »Arabischen Winter« einfiel. Die realen Auseinandersetzungen im Nahen Osten bedienen offensichtlich nicht das Bedürfnis nach Projektionsflächen. Und so nimmt man es lieber nicht wahr, dass der politische Islam in den Kernländern des Nahen Ostens unter erheblichem Druck geraten ist, an vielen Orten führt er längst Rückzugsgefechte.
Generationenkonflikt
Junge Menschen im Nahen Osten verlassen zunehmend die ideologischen, altgewohnten Pfade, auch in ihrem Widerstand, oder vielmehr in ihrem Desinteresse an den Kämpfen der Alten. Dann sitzen auch die Mädchen in der Öffentlichkeit im Cafe, ob mit oder ohne Kopftuch, und rauchen Shisha. Und nein, das passiert nicht überall und nein, das wird die Gewaltverhältnisse in all diesen Staaten nicht sofort umstürzen. Aber zumal aus intellektueller Frankfurter Perspektive wird man doch einmal sagen müssen, wie beschränkt und völlig undialektisch es ist, anzunehmen, dass dieser Generationenwandel nicht irgendwelche Auswirkungen haben sollte. Fasziniert starrt man aber weiter voller lustvoller Abscheu auf die alten Männer und ihre Machtdemonstrationen, und wittert allerorten ein scheinbar wie naturgesetzliches Voranschreiten des politischen Islams, so als würde es sich hier nicht um eine letztlich gescheiterte und total abgehalfterte Ideologie handeln.
Die einzige wirkliche Invariante in diesem ganzen Szenario scheint das europäische Krisenbewusstsein zu sein.
Tatsächlich verbucht der politische Islam ja auch weiter Geländegewinne, dafür stehen die Einführung der Todesstrafe für Homosexuelle in Brunei, oder der von Susanne Schröter in ihrem Eröffnungsvortrag angerissene Einfluß des Islamismus in Malaysia oder Indonesien – dem Land mit den meisten Muslimen weltweit. Das zentrale Merkmal aller Gegenden in denen der politische Islam derzeit an Boden gewinnt, ist jedoch ihre Lage in der Peripherie – vom Zentrum des Nahen Ostens aus gesehen. Wie eine Welle hat sich der politische Islam ausgebreitet, und möglicherweise wird er auch wie eine Welle auslaufen. Mit Verspätung in der Peripherie.
Die neue Strategie des »IS« könnte dafür stehen; die Jihadisten ziehen gen Südostasien, und in die unkontrollierten Regionen Afrikas; und auch im Westen, zumal in Europa finden sich treue Anhänger. Denn auch Europa gehört zu dieser islamischen Peripherie, auf die der politische Islam angeblich so machtvoll zuschreitet, dass man vor lauter Kopftüchern bald nichts mehr zu sehen vermag. Spätestens in Europa mischt sich der Islam mit Identitätsfragen, und es wäre abermals so sinnlos wie weltfremd anzunehmen, dass »der Islam« oder vielmehr »der politische Islam« ausgerechnet davon unberührt bleiben sollte. Die einzige wirkliche Invariante in diesem ganzen Szenario scheint das europäische Krisenbewusstsein zu sein. Man fühlt sich bedroht, man ist immer nah an der Panik gebaut, und hat bei aller beschworenen Kultur offenbar so gar kein Vertrauen in die eigenen Werte. Dabei wären die doch die Antwort auf die Kopftücher, um die es hier angeblich geht.
Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch.