Profifußballer Onel Hernández

»Höhere Kräfte«

Onel Hernández ist der beste kubanische Fußballspieler seiner Generation, bald spielt er wohl in der englischen Premier League. Für Kubas Nationalmannschaft darf er trotzdem nicht auflaufen.

Mit einer um die Schultern gelegten kubanischen Flagge feierte der Deutsch-Kubaner Onel Hernández Ende April nach einem 2:1-Sieg ­gegen die Blackburn Rovers auf dem Rasen den vorzeitigen Aufstieg in die englische Premier League. Woran er mit Eintracht Braunschweig noch knapp gescheitert war, gelang Hernández nun mit Norwich City – der Aufstieg in eine der großen europäischen Ligen. Als erster Kubaner überhaupt könnte der in Deutschland ausgebildete Fußballer in der kommenden Saison in Englands Premier League spielen.

Zugetraut hatte »Englands deutschestem Fußballclub«, wie Norwich City oft genannt wird, den Aufstieg kaum jemand. Der Tabellenvierzehnte der Football League Champion­ship der Vorsaison hatte vor der Spielzeit wichtige Spieler verkauft; dafür kamen andere, die wenig kosteten. Mit insgesamt sieben deutschen Kickern, Ballbesitzfußball und frühem Pressing mischte der vom ehemaligen BVB-Nachwuchscoach Daniel Farke trainierte Low-Budget-Kader die englische Championship auf. Der schnelle Linksaußen Hernández hatte mit acht Toren und acht Vorlagen maßgeblichen Anteil an der Überraschungssaison der »Kanarien­vögel«, wie Norwich wegen seiner quietschgelben Trikots auch genannt wird.

»Wir brauchen kein Geld, wir wollen umsonst spielen.«

Der 26jährige, in Kuba geboren, kam als Sechsjähriger mit Mutter Yaneisy nach Rietberg, das im nordöstlichen Zipfel Nordrhein-West­falens gelegen ist. »Mein Leben begann in Deutschland«, sagte Hernández dem britischen Guardian. Sein Stiefvater Ewald, Trainer bei TuS Westfalia Neuenkirchen, hatte gemeint, Fußball werde dem Jungen bei der Integration helfen. »Er brachte mich zum Fußball, er trainierte mich, er tat alles für mich, er hat mich immer unterstützt«, so Hernández.

Über den FC Gütersloh und Rot-Weiß Ahlen landete er mit 14 in der Jugendabteilung von Arminia Bielefeld. Dort realisierte er das erste Mal, dass er das Zeug zum Fußballprofi hatte. Sein Zweitliga-Debüt gab Her­nández im Alter von 17 Jahren, als er vom damaligen Bielefelder Trainer, Christian Ziege, in der Schlussphase des Westfalenderbys gegen den SC Paderborn eingewechselt wurde. Nach Lehrjahren bei den Amateuren von Werder Bremen und des VfL Wolfsburg wechselte er 2016 nach Braunschweig. Als Zweitliga-Dritter scheiterte die Eintracht in der Relegation 2017 durch zwei knappe Niederlagen gegen den niedersächsischen Erzrivalen VfL Wolfsburg knapp am Aufstieg.

Im Januar 2018 holte Farke Hernández zu Norwich. Er hatte sechs Jahre in Lippstadt trainiert – keine 20 Kilometer von Hernández’ Heimatort entfernt – und dessen Werdegang verfolgt. Farke habe Hernández’ Auf­fasung vom Fußball verändert, sagt der Spieler. Das mache ihn »100 Prozent besser«. Nun also feierten beide zusammen den Aufstieg.

In Kuba sorgte die Nachricht vom Aufstieg in die Premier League für einige Aufmerksamkeit. Bereits im Laufe der Saison waren immer wieder Zusammenfassungen von Norwich-Partien im kubanischen Fernsehen gezeigt worden. Und seit geraumer Zeit fordert die immer fußballverrückter werdende Öffentlichkeit, im Ausland aufgewachsene beziehungsweise beschäftigte kubanische Fußballer für die kubanische National­mannschaft spielen zu lassen.

Kubas Nationaltrikot überzustreifen, ist »einer meiner größten Träume«, sagt Hernández, der immerhin ein U18-Länderspiel für Deutschland vorweisen kann. Wann immer er kann, reist er nach Kuba, wohin seine Mutter zurückgekehrt ist. Sie lebt mittlerweile auf einer kleinen Farm.

Im November schien sich sein Traum zu erfüllen. Hernández wurde von Kubas Nationaltrainer Raúl ­Mederos für sein erstes A-Länderspiel nominiert – ein Qualifikationsspiel der CONCACAF Nations League gegen die Dominikanische Republik. »Onel hat sich entschieden, für Kuba aufzulaufen. Es ist für ihn eine Herzensangelegenheit«, sagte sein Berater René Lieberam. Doch dann folgte der Rückschlag. »Die offizielle Einladung war auch schon da, doch sie ist nun auf Anweisung des Staates zurückgezogen worden«, so Lieberam. Er könne anreisen, trainieren, die Mannschaft kennenlernen, aber nicht spielen, hieß es.

»Es ist sehr traurig, denn wir haben gute Spieler rund um die Welt, die zurückkommen und helfen wollen«, kommentierte Hernández die Geschehnisse. »Wir brauchen kein Geld, wir wollen umsonst spielen.« Seine Mutter habe mit dem Trainer und dem Verband gesprochen; aber es gebe wohl Politiker, die den Fußball nicht unterstützen wollten.

Jeder Spieler, der die kubanische Staatsbürgerschaft besitze, könne für die Nationalmannschaft auflaufen, hatte der Präsident des Kubanischen Fußballverbandes AFC, Luis Hernández (nicht verwandt mit Onel), hingegen erst kürzlich gesagt, schränkte aber gleichzeitig ein: »Bei Fußballmächten wie Brasilien, wenn es darum geht, die Auswahl zusammenzustellen, reist der Trainer um die Welt und unterhält sich mit den Spielern, schaut sich ihre Leistungen an und schätzt die Bedürfnisse der Mannschaft ein. Die Tatsache, dass es einen Spieler im Ausland gibt, heißt nicht immer, dass er auch berufen werden muss.« Aber Kuba ist nun mal nicht Brasilien und Hernández der mit Abstand beste kubanische Spieler weit und breit.

Die Gründe für Hernández’ Ausladung sind wohl eher sportpolitischer Natur. Ob Funktionäre im Verband oder in der Regierung sich sperrten, ließ Nationaltrainer Mederos offen. Er sprach lediglich von »höheren Kräften«, die eine Nominierung verhinderten. Die Hoffnung auf­gegeben aber hat er keineswegs. »Ich weiß nicht, wann es das definitive ›Ja‹ geben wird und ob diese Spieler nach Kuba kommen müssen, um juristische Angelegenheiten zu lösen. Wir wünschen uns einzig, dass alles so bald wie möglich gelöst wird und wir mit ihnen planen können, nicht nur für die Nations League, sondern bereits zuvor, beim Gold Cup«, so Mederos.

Beim Gold Cup, der Nord- und Mittelamerikameisterschaft im Sommer in den USA, trifft Kuba auf ­Mexiko, Kanada und Martinique. Im Herbst steht das politisch aufgela­dene Spiel gegen die Vereinigten Staaten auf dem Programm. Dabei könnte die Auswahl der Karibikinsel Verstärkung durch Spieler wie Onel Her­nández, Marcel Hernández, der in Costa Ricas erster Liga spielt, Christian Joel Sánchez, Torwart bei Sporting Gijón in Spaniens zweiter Liga, oder Jorge Luís Corrales, Teamkollege von Bastian Schweinsteiger bei Chicago Fire, gut gebrauchen. Noch aber ist die Tür zur kubanischen Nationalmannschaft für die genannten Spieler geschlossen.

»Heute wird diese Tür weiterhin von eifersüchtigen Wärtern bewacht, die sich an was auch immer für eine Idee klammern, um den aktuell besten Spieler (…) außen vor zu halten«, beklagt Aliet Arzola vom Onlineportal OnCuba. Möglicherweise verleiht Hernández’ Erfolg den Dingen eine neue Dynamik. Es sei zu hoffen, dass die Verantwortlichen »das Ausmaß des Ereignisses (des Aufstiegs, Anm. d. Red.), das wir erleben, begreifen und in der Lage sind, die Taue zu lösen, die derzeit verhindern, dass Onel Hernández – der erste Kubaner, der in die Premier Lea­gue aufsteigt – den Atlantik überquert« und das kubanische Nationaltrikot überstreift, so Arzola.