Raucherecke

Über die Wupper gehen

Wie unterschiedlich extreme Rechte in Plauen und radikale Linke in Wuppertal den 1. Mai erlebten.

Der 1. Mai ist in jedem Jahr Großkampftag für unterschiedlichste Organisationen und Gruppen. Da wären die Gewerkschaften, die auf fast jeden Marktplatz in Deutschland einen Bierwagen nebst Würstchengrill aufstellen; da wären radikale Linke, die den Tag ­dafür nutzen, um ganz allumfassend zu erklären, dass der Kapitalismus dieses Jahr aber doch endlich abgeschafft gehört; und da sind die Nazis, die daran erinnern wollen, dass wir den gesetzlichen Feiertag ihrem Führer verdanken.

In Plauen im sächsischen Vogtland führte die neonazistische Kleinpartei »Der III. Weg« in diesem Jahr zum wiederholten Mal eine Maidemonstration durch – es ist sozusagen fast schon eine Tradition für die 2013 gegründete Nazipartei. Eine echte Tradition ist der autonome 1. Mai in Wuppertal. Seit 33 Jahren läuft die linksradikale Szene an diesem Tag unangemeldet Berge und Täler an der Wupper hoch und runter. Auch immer dabei – mal mehr und mal weniger auffällig – ist die Polizei. Mal beschränkt sie sich darauf, den Verkehr zu regeln, andernorts werden Schlagstock- und Pfefferspray extensiv eingesetzt. Auch der behördliche Umgang mit den verschiedenen Versammlungen kann höchst unterschiedlich ausfallen.

Plauen um die Mittagszeit, 500 Nazis marschieren, ein Großteil von ihnen geordnet in Viererreihen, links und rechts Fahnen von »Der III. Weg«. Die Marschierenden tragen einheitliche bräunlich-beige T-Shirts, auf der Vorderseite steht »Deutscher Sozialismus«, auf dem Rücken »National – Revolutionär – Sozialistisch«. Vorweg marschieren Männer mit Landsknechttrommeln im Stil der Hitler-Jugend. An den Rändern des Demonstrationszugs zünden Neonazis mehrfach grüne Signalfackeln. Es sieht aus wie ein SA-Aufmarsch mit kleinem optischem Update.

Etwa zur gleichen Zeit, circa 450 Kilometer weiter nordwestlich in Wuppertal. Vor dem Autonomen Zentrum (AZ) sitzen und stehen etwa 80 Menschen, es ist die ältere Generation der linksradikalen Szene, die sich hier trifft. Aus einer Box auf dem Dach des AZ sind passenderweise alte Stimmungshits von Slime, Ton Steine Scherben und den Goldenen Zitronen zu hören. Nicht wenige der Altautonomen haben ihre Kinder mitgebracht und beobachten kritisch, was die Polizei treibt. Die möchte nämlich nicht mehr, dass in Wuppertal am 1. Mai unangemeldet demonstriert wird. Zwar sind die wilden Zeiten der autonomen Demonstrationen in Wuppertal lange vorbei, aber die schwarz-gelbe Landesregierung Nordrhein-West­falens will nirgendwo »rechtsfreie Räume« zulassen. Deswegen stehen den Menschen vor dem AZ drei Hundertschaften Polizei gegenüber, die den Spaziergang zu einem nahegelegenen Straßenfest verhindern.

In Plauen ist das anders – Pyrofackeln, Trommeln, einheitliche T-Shirts, die an SA-Uniformen erinnern. Das sorgt für viel Empörung. Die sächsische Polizei hat jedoch kein Problem damit: Der Einsatz der Signalfackeln war vorher bei der Polizei angemeldet worden, es gab Auflagen – alles okay also.

Erster Mai 2019 in Deutschland: SA-reenactment ist kein Problem – wenn es denn ordentlich angemeldet wurde. Ein harm­loser Spaziergang von Autonomen dagegen, die aus beinahe folkloristischen Gründen auf eine formelle Anmeldung verzichten, ist ein Problem und sorgt für ein Großaufgebot der Polizei, das verhindert, dass die Linken auch nur einen Meter von ihrem Startpunkt wegkommen. Selbst der ekelhafteste Naziunfug ist möglich, wenn er denn angemeldet wurde; eine unangemeldete linke Demonstration hingegen klappt nur, wenn die Polizei ausgetrickst wird. Das hatten nämlich 100 andere Autonome in Wuppertal ­getan und sich einfach nicht am AZ getroffen – sie konnten spazieren. Immerhin.