Von Spar: Under Pressure«

»Ganz anders schreien«

Angefangen haben Von Spar mit Disco-Punk-Parolen. Die Band entwickelte danach einen Sound, der geprägt ist von krautiger Pop-Verspieltheit. Bassist Christopher Marquez empfängt zum Gespräch in seinem Studio im letzten grauen Hinterhof am Kreuzberger Mehringdamm.
Interview Von

Es ist merkwürdig, eure neue Platte zu hören, diese krautrockigen, fließenden Popsongs, und dann als Kontrast ein Video aus euren Anfangstagen zu sehen, als ihr mit eurem Debüt »Die uneingeschränkte Freiheit der pri­vaten Initiative« sowas wie Egotronic für Diskursrocker wart. Im Song »Ist das noch populär« von 2004 geht es um die Auflösung von Gender-Rollen – das passt viel besser zur heutigen Diskussion als zur damaligen.
Thomas Mahmoud, der damals unser Sänger war, ist immer versiert darin gewesen, Inhalte so zu formulieren, dass sie Teil eines Diskurses werden. Es ist uns immer wichtig gewesen, dass die Aussage für alle vertretbar ist, wenn wir mit Gesang arbeiten. Seit Thomas nicht mehr dabei ist, gilt das eben auch für die Gastbeiträge. Wir würden nicht Helene Fischer fragen, ob sie auf der nächsten Platte mitsingt.

Schade eigentlich! Wäre solche Musik denn nicht gerade notwendig? Also, so eine Art massenkompatible Parolenmusik gegen rechten Konsens?
Parolen sind ja immer auch eine Vereinfachung. Das so zu drehen, dass es niemand in den falschen Hals bekommt, finde ich schwierig.

Kann man das auch so verstehen, dass so eine Herangehensweise zu euch als junge Band gepasst hat, jetzt aber unangemessen wäre?
Genau. Ach, schreien ist immer gut und immer wichtig, auch, wenn man fortgeschrittenen Alters ist. Aber man kann auch ganz anders schreien.

Heute werdet ihr eher mit einer anderen Musik assoziiert. Wie schreit man denn im Krautrock?
Wir sind nicht festgefahren, weil ­jeder von uns nicht nur einzelne Interessen hat, sondern wir alle so viele Interessen haben. Wir können alles in unsere Musik packen, ohne dass jemand wirklich findet, es würde gar nicht passen. Wir haben alle Freiheit. Das Label Krautrock passt aber natürlich, weil bestimmte Parameter greifen: freies Spiel mit Musik, dabei aber auch Stringenz.

Hat diese Herangehensweise, musikalisch frei zu sein, auch eine politische Konnotation? Was bedeutet es politisch gesehen, heute Krautrock zu spielen?
Krautrock war in den Siebzigern auf jeden Fall eine Spielart, die weniger Machohaftes an sich hatte als US-amerikanische oder britische Produktionen dieser Zeit, wo es um laute, schrille, verzerrte Gitarren ging. Wobei ja auch Bands wie Neu! versuchten, den amerikanischen Stil zu kopieren – aber dazu überhaupt nicht in der Lage waren. Die wollten Funk adaptieren, haben es aber nicht geschafft – und dann erfinden sie damit eine Musik, die bis heute die Indie-Ästhetik prägt. Ein bestimmter Beat, ein motorischer Rhythmus, das hat sich bis heute nicht verändert. Bei uns ja auch nicht.

Hinge nicht das Label Krautrock über euch, man würde viel eher hören, dass viele Sounds, auch viel von der Atmosphäre ­eures neuen Albums eher an Fleetwood Mac erinnern. Das ist eigentlich der Yacht Rock der späten Siebziger – und damit dem Krautrock entgegengesetzt. Von wegen nicht machohaft: Da stehen ja sonnengebräunte Typen mit offenem Hemd am Steuerrad.
Damals hieß das immer Adult Oriented Rock, AOR. Im Prinzip noch bös­artiger. Das ist aufwendig produzierte Musik mit professionellen Berufsmusikern, in guten Studios. Das hat nichts mit Krautrock zu tun. Spannend für uns ist allerdings das Songwriting. Steely Dan waren in ihren Texten immer kritisch, aber paarten das mit einer unverklausulierten Musik. Yacht Rock war auch eine Art der Komposition, die zielgerichtet war, die kommerziell vermarktbar war, ohne unbedingt so zu klingen. Das Bild der Musiker, diese komische Männlichkeit, das ist natürlich der Zeit entsprungen, aber damit haben du und ich ja nichts am Hut.

Trotzdem spannend, dass ausgerechnet »Africa« von Toto fast 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung ein Hit der Generation Y ist, gerade im Rave-Kontext. Und ich glaube, nicht einmal nur ­ironisch, das Lied spricht schon etwas an, das anziehend ist. Das wäre zu Zeiten eures Debüts noch undenkbar gewesen.
Klar! Aber »Africa« spielt ja vor allem mit Klängen. Ist doch superspannend, wie alles so vermischt wird, wie über den größeren Zugang zu Musik manche Zusammenhänge, wie der, woher Toto kommen, wo die sich einordnen lassen, auch verschwinden. Und dann lassen sich Toto auf etwas Parolenhaftes reduzieren und sind auf einmal spannend für ein Partypublikum.

Euer Albumtitel »Under Pressure« ruft erstmal ähnliche AOR-Asso­ziationen auf, so hieß ein Hit von Queen und David Bowie aus dem Jahre 1981. Aber ihr meint es sicher nicht nur als Zitat. Auf wem lastet welcher Druck?
Der Song ist natürlich super und wir finden Bowie alle toll. Trotzdem haben wir uns erst kurz vor Schluss auf einen Titel einigen können. Wir als Band sind ja nie einem solchen Druck ausgesetzt, eine Platte abzuliefern. Wir machen das für uns selbst. Wir arbeiten jahrelang an Songs, bis sie für uns richtig sind. Allerdings findet man dann nie einen Schluss. Irgendwann musst du aber auf den Punkt kommen. Da passt der Titel letztlich zur Arbeitsweise.

Ihr produziert eure Songs erstmal ohne Gesang und sucht dann für jeden Track die passende Stimme. Wie findet ihr die?
Man fragt sich schon, während die Stücke instrumental entstehen, was fehlt, ob überhaupt etwas fehlt. Mit Chris Cummings haben wir schon beim letzten Album zusammengearbeitet, er ist sehr bewandert in der Popgeschichte, er kennt die Idiome und fügt sich so in die Stücke ein, als hätte er von Anfang an mitgewirkt. Jemand, der so talentiert ist wie er oder unsere anderen Gastmusiker Lætitia Sadier oder Vivien Goldman, setzt auf unsere Stücke dann etwas drauf, was unsere Vorarbeit fast aushebelt. Da wird man oft überrascht.

Interessiert euch bei der Besetzung der Sängerinnen und Sänger eher Kontrast oder Harmonie?
Schon eher Harmonie. Popmusik lebt von diesen Kontrasten, aber sie wirken oft konstruiert. Klangbild und Inhalt müssen schon zusammenpassen. Und am Ende passt es meistens auch im Zusammenhang der Platte zusammen, obwohl wir die Textarbeit den Gästen überlassen. Die Songs, das sind Spielbälle, die wir hin und her werfen.

Seid ihr noch Band oder schon Netzwerk?
Man ist schon darauf bedacht, dass einem die Dinge nicht aus der Hand gleiten. Wir sind mit den Menschen auch befreundet, mit denen wir arbeiten, nicht nur mit den Musikern, sondern auch den Menschen, die Fotos machen oder die Videos schneiden. Wir ­wollen kein Cover von Agentur XY – unser Cover hat ein befreundeter Maler gemacht. Wir arbeiten nicht mehr so sehr nach der Methode »Do It Yourself«, aber wir haben doch immer mit Labels gearbeitet, bei denen Marketingstrategie keine so große Rolle gespielt hat.

Wenn man so arbeitet, kann ­Musik aber auch kein Brotjob werden.
Nein, wir arbeiten alle noch was ­anderes. Aber diese Brotjobs, die wir machen, haben immer mit Musik zu tun. Ich komponiere etwa für Bewegtbild. Uns war auch immer klar, dass wir nicht permanent live spielen wollten, nicht immer ab­liefern wollten. Wir haben das nicht aus­geschlossen, aber wir waren uns immer sicher, dass Von Spar nicht die Sache ist, über die wir unbedingt Geld verdienen müssen. Von Spar ist darum ein Projekt geworden, mit dem wir uns mehr Freiheit nehmen können, als es im Popzirkus üblich ist.

Von Spar: Under Pressure (Bureau B)