Gewaltexzesse im Sudan

Leichen im Nil

Nach dem Massenmord an Oppositionellen droht im Sudan ein Bürgerkrieg.
Kommentar Von

Immer mehr Tote werden gefunden. Seit am Montag der seit der Absetzung Omar al-Bashirs am 11. April regierende Militärische Übergangsrat das Protestcamp im Zentrum Khartoums gewaltsam durch seine paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) räumen ließ, herrscht in der sudanesischen Hauptstadt der Terror. Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass am Montag voriger Woche und in den folgenden Tagen mehr als 100 Menschen von den Todesschwadronen des Regimes ermordet wurden. Über 40 Leichen wurden allein aus dem Nil gezogen, die meisten mit Folterspuren am ganzen Körper. Selbst die medizinische Versorgung steht vor dem Zusammenbruch. Viele Ärztinnen und Ärzte wagen sich nicht mehr in die Krankenhäuser, da diese von marodierenden Milizen überfallen werden.

Der Internetzugang wurde in weiten Teilen des Sudan blockiert. Trotzdem finden immer wieder Nachrichten der Opposition über private Kanäle ihren Weg an die Öffentlichkeit. Fotos von im Nil schwimmenden Leichen, Appelle von Sterbenden, »auf unseren Sudan aufzupassen«, und verzweifelte Aufrufe an die Weltöffentlichkeit, endlich zu reagieren, erreichen Exilsudanesen und Solidaritätsgruppen, die die Botschaften weiterverbreiten.
Die Weltöffentlichkeit scheint allerdings wenig interessiert, die sogenannte internationale Gemeinschaft bleibt untätig. Acht EU-Staaten verurteilten zwar die Gewaltexzesse, eine Resolution des UN-Sicherheitsrats kam jedoch nicht zustande. Immerhin hat die ­Afrikanische Union die Mitgliedschaft des Sudan suspendiert, bis dort eine zivil geführte Übergangsregierung die Macht übernimmt. Entscheidend für das sudanesische Regime scheint jedoch die Unterstützung arabischer Verbündeter. Die Niederschlagung der Proteste dürfte zuvor in einem Treffen mit saudischen und ägyptischen Offiziellen abgesprochen worden sein. Beide Länder sind enge Verbündete der EU und der USA.

Die Gewaltexzesse waren keine Überraschung. Wochenlang hatte die Protestbewegung, die im April den Sturz des Militärdiktators Omar al-Bashir erzwingen konnte, ihre Proteste fortgesetzt, um die Übergabe der Macht an eine zivile Übergangsregierung zu bewirken. Das Militärregime verfolgte zunächst eine hinhaltende Taktik, ließ dann aber die RSF in die Hauptstadt bringen, eine aus den ­gefürchteten Janjaweed-Milizen hervorgegangene paramilitärische Truppe, die den Streitkräften angegliedert ist. Im Krieg gegen die Autonomiebewegungen in Darfur waren diese Milizen nach 2003 für den Großteil der Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich. Ihr Kommandant, Mohammed Hamdan Dagalo, hatte sich bereits in Darfur den Ruf eines notorischen Kriegsverbrechers erworben. Er wurde Vizepräsident des Militärischen Übergangsrats, gilt aber als dessen einflussreichstes Mitglied, zumal er die Unterstützung der regionalen Verbündeten des Sudan genießt.

Der Kriegsverbrecher aus Darfur holte nun seine Milizen in die Hauptstadtregion und versucht, die Demokratiebewegung mit den bewährten Methoden niederzuschlagen. Unterstützung kommt dabei von den beiden für den Sudan traditionell wichtigsten Nachbarstaaten, der ehemaligen Kolonialmacht Ägypten und dem reichen Saudi-Arabien. Ende Mai trat Dagalo seinen ersten Staatsbesuch in Saudi-Arabien an, wo er Thronfolger Mohammed bin Salman seine Solidarität im Kampf gegen die Houthis im Jemen versicherte.

Sudanesische Oppositionelle vermuten, dass Saudi-Arabien das sudanesische Regime auch unterstützt, weil dessen Truppen, überwiegend aus den Reihen der RSF, im Jemen auf Seiten des Königreiches gegen die Houthi-Rebellen kämpfen. Sowohl Ägypten als auch Saudi-Arabien fürchten den Erfolg einer Demokratiebewegung, sie unterstützten im Sudan immer wieder arabisch-nationalistische Gruppen gegen Autonomie- und Emanzipationsbewegungen nichtarabischer Bevölkerungsgruppen, die auch der derzeitigen Oppositionsbewegung im Sudan zuneigen.

Diese hat zu einem Generalstreik aufgerufen, der am Sonntag begann, und lehnt unter den derzeitigen Umständen weitere Verhandlungen mit dem Militärregime ab, das die bisher getroffenen Vereinbarungen annulliert hat. Die jüngsten Nachrichten aus Khartoum deuten darauf hin, dass sich mittlerweile verschiedene Gruppen bewaffnen. Zivile Oppositionskräfte rufen weiter zu friedlichen Protesten auf, vermuten aber, dass das Regime es auf eine Eskalation anlegt, um weitere Repression und eine Fortsetzung der Militärherrschaft zu legitimieren. Dem Sudan droht nach dem Massaker der Bürgerkrieg.