Das neue Album des Lo-Fi-­Veteranen Bill Callahan

Ungeschoren davongekommen

Bill Callahans »Shepherd in a Sheepskin Vest« ist das vielleicht intimste Album des Sängers und Pioniers der Lo-Fi-Bewegung, auf jeden Fall aber das mit der längsten Spieldauer.

»It’s not gonna be a hit so why even bother with it« dröhnt es aus den Boxen; es singt eine helle, technisch verdoppelte, quietschige Stimme, während ein mechanisch klingendes Schlagzeug im Hintergund poltert und auf einer vollends verzerrten Gitarre die Saiten angeschlagen werden. Wie eine Explosion klingt dieses Stück, und obwohl behauptet wird, das ganze würde eh kein Hit werden, klingt es nicht nur wie einer, sondern heißt auch so, »A Hit« nämlich. Dieses Lied ist die inoffizielle Hymne des Lo-Fi, musikalisch schöpft es aus dem gesamten Arsenal dieses Genres: simples Equipment, karge Melodie, dissonant und dilettantisch ­gespielte Instrumente und eine zumindest billig klingende Aufnahme. Aber nicht nur das: Lo-Fi, also das Genre, bei dem das Aufnehmen von Musik ohne besondere Kenntnisse, Fertigkeiten und Geld von der Not zur Tugend gemacht wird, ist natürlich ein Produkt von Außenseitern, selbsterklärten Nichtsnutzen, eine musikalische Rache an all denen, die ihnen nichts zugetraut hatten. Der Stolz des Außenseiters klingt in diesem Lied mit, das 1994 veröffentlicht wurde. Unbeliebt, ein Ärgernis, so erscheinen Lied und Sänger, und dem­emtsprechen hat er sich auch ­genannt, nach einem düsteren und beklemmenden Ärgernis: Smog.

Callahan wurde vom Lo-Fi-Rocker, vom aus­gestoßenen Nerd zum Folk-Sänger. Doch sein Folk ist nicht süßlich oder versöhnlich, er hat sogar von Zeit zu Zeit etwas sehr Unheimliches an sich.

Mittlerweile hat sich die Luftverschmutzung verzogen, Bill Callahan hat 2007 gegen den Rat seiner Plattenfirma sein Pseudonym abgelegt und seitdem vier Alben unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlicht. 2007 war das 18. Jahr seines ­Lebens als Musiker und in gewisser Weise gehörte das Ablegen des alten Namens dazu, erwachsen zu werden. Wo Callahan als Smog unendlich dramatisch werden konnte und es die ganze Zeit nur um ihn und seine Gefühle ging, wo rockige Akkorde gespielt wurden und ständig Wut um sich griff, ist er als Callahan seriös, gelassen, ruhig – ein Meister des Understatement. Er wurde vom Lo-­Fi-Rocker, vom ausgestoßenen Nerd zum Folk-Sänger.

Doch Callahans Folk ist nicht süßlich oder versöhnlich, er hat sogar von Zeit zu Zeit etwas sehr Unheimliches an sich. Auf dem Coverbild des neuen Albums »Shepherd in a Sheep­skin Vest« krabbeln dem Sänger Schafe ins Ohr, im ersten Lied gleich hat der Schäfer Angst vor seinen ­eigenen Tieren und auch der Titel spielt in einer solch paradoxen Art mit einer Redewendung, dass es einen erschaudern lässt, wenn man drüber nachdenkt. Der Wolf zieht sich den Schafspelz über, um sich und seine bösen Absichten zu tarnen – aber was tarnt der im Albumtitel den Schafspelz tragende Schäfer?

Sechs Jahre sind seit der Veröffentlichung von Callahans vorangegangenen Studioalbum »Dream River« vergangen, so viel Zeit hat er sich in seiner gesamten Laufbahn noch nie genommen, zwischen seinen Ver­öffentlichungen lagen bislang höchstens zwei Jahre. Rationale Gründe mag man dafür angeben: 2014 heiratete er die Dokumentarfilmerin Hanly Banks. Das weiß man, weil Callahan das freimütig auf seinem ­Album im Song »Watch Me Get Married« erzählt und gleich noch eine Liebeserklärung an seine Frau hinterherschickt: »How joyous to know / What we knew was out there wanting to / Finally came home«. Ein Jahr später wurde sein Sohn Bass geboren. Im vergangenen Jahr dann starb Bill Calahans Mutter an Krebs.
Vermisst haben muss er das Schreiben, wie er im Lied »Writing« verrät, wenn er singt: »It feels good to be writing again / Clear water falls from my pen.« Aber nicht nur das Schreiben, auch das Singen hat ihm gefehlt, geht der Song doch weiter: »It feels good to be singing again«. Anders kann man es sich bei Callahan auch nicht vorstellen: Er ist jemand, der die Musik braucht wie die Luft zum Atmen, ein Mensch, dem etwas fehlt, wenn er nicht auf der Gitarre spielen kann, die schon quasi zu ­seinem dritten Arm geworden ist. Die leicht verstimmte Akustikgitarre, ­deren Saiten grob angeschlagen werden, dominiert den Sound dieses ­Albums.

Dass Callahan mittlerweile seit 15 Jahren in Austin, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Texas lebt, mag auch ein Grund für die Veränderung in seiner Musik sein, weg vom Innenleben, hin zur Natur oder besser: zum kulturell geformten Bild von Natur, denn die Alpen sind genau wie die Canyons Kultur- und nicht einfach nur Naturlandschaft. So begegnet man in den Liedern des notorischen Blue-Jeans-Trägers Callahan einer Menge Americana, den kulturellen Insignien der Vereinigten Staaten, zumindest in einem weiteren Sinn: Motels, Tankstellen, Kiefern, dem Highway, der Navy und natürlich dem Staatsvogel der Südstaaten, der Spottdrossel (mockingbird). Selbst der Comicheld Hulk wird bei Callahan zu einem scheinbar real existierenden Tier, er widmet ihm eine Ballade und scheint sie aus dessen Perspektive zu singen. Der popkulturelle Held gerät zu einer geradezu mythischen Figur, die sich wie Sisyphos nach dem Sinn des Lebens fragt und danach, ob das ­Weitermachen und Weiterstreben es eigentlich überhaupt wert sind.

Musikalisch ist »Shepherd in a Sheepskin Vest« vertrackter als seine Vorgänger. Die Arrangements sind kleinteiliger, die Melodien wirken zufälliger und spontaner. Die etwas schiefen Töne und der fast schon experimentell zu nennende Umgang mit klassischen Regeln des Songwriting (Refrains sucht man vergeblich) erinnern mehr an die Musik der New-Weird-America-Bewegung, dessen wohl bekannteste Vertreterin Joanna Newsom ist, eine ehemalige Freundin des Musikers. Callahan, ein Meister des angenehmen Pathos, nimmt sich hier heraus, nicht mehr ganz so programmatisch zu sein. Songs wie das großartige »America!« vom 2011 erschienenen und gar nicht sehr nach Apokalypse klingenden »Apocalypse« haben eine klare Struktur, eine ausgeklügelte Dramaturgie, arbeiten beispielsweise auf ein Gitarrensolo oder ein Crescendo hin (kurz: sie wollen etwas), während auf dem neuen ­Album – und das ist nichts Schlechtes – mit der großen Geste gespart wird. Die 20 Songs (auch das ist neu, das zuletzt erschienene »Dream ­River« zählte grade einmal acht Titel) wirken eher wie schnell angefer­tigte und verschwenderisch dargebotene Skizzen, im Pressetext ­werden sie passend als »Snapshots« bezeichnet.

Lo-Fi mal anders, denn das klingt wirklich nicht mehr so wie zu Zeiten von Smog, doch das Simple von einst hat sich verwandelt: Man meint beispielsweise bei vielen Songs den knarzenden Stuhl zu hören, auf dem Callahan sitzt, wenn er die Musik einspielt. Dass das komplette Album ohne elektronische Verstärkung eingespielt wurde, verstärkt das Gefühl der Intimität, das diese Platte ausstrahlt, man sieht beim Hören förmlich die Fingerkuppen vor sich, wie sie über die Gitarrensaiten ­gleiten.

Bleibt die Frage: Was macht der Schäfer unter dem Schafspelz? Vielleicht hat er einfach keine Lust mehr, die Autorität zu sein, vielleicht mag er auch die Anstrengung nicht mehr, die es mit sich bringt, die Tiere zu hüten. Oder aber er möchte gern sehen, wie die Welt aus Sicht eines Schafs aussieht. So, wie Bill Callahan sehen möchte, wie Amerika aus Sicht eines Folk-Sängers aussieht.

Bill Callahan: Shepherd in a Sheepskin Vest (Drag City)