Boris Johnson auf Premierkurs

Kalkulierte Exzentrik

Der Rechtskonservative Boris Johnson wird wohl der nächste britische Premierminister. Seine zahlreichen Skandale können ihm kaum etwas anhaben.

Wer der nächste Premierminister Großbritanniens wird, bestimmen nun die Mitglieder der Konservativen Partei, nachdem deren Unterhausfraktion die Vorauswahl getroffen hat. Theresa May, die Premierministerin und Parteivorsitzende, war Anfang Juni zurückgetreten. Zahlreiche Kandidatinnen und Kandi­daten bewarben sich um ihre Nachfolge. Nach fünf fraktionsinternen Wahlrunden stehen nun Boris Johnson und ­Außenminister Jeremy Hunt zur Wahl – Johnson gilt als klarer ­Favorit.

Die beiden Kandidaten stachen acht Konkurrentinnen und Konkurrenten aus. Die zwei Kandidatinnen, Andrea Leadsom und Esther McVey sowie Mark Harper schieden gleich in der ersten Runde aus. Übrig blieben sieben Männer, darunter Umweltminister ­Michael Gove und Innenminister Sajid ­Javid. Johnson konnte in der letzten Runde seine Konkurrenten mit einem bequemen Vorsprung von 160 zu 77 Stimmen für Hunt und 75 für Gove hinter sich lassen. In den nächsten ­Wochen gibt es 16 Wahlkampfveranstaltungen, darunter einige Fernseh­debatten, bei denen Johnson und Hunt ihre jeweiligen Programme vorstellen und diskutieren sollen. Dann wählen die Parteimitglieder den neuen Vor­sitzenden, der auch Premierminister wird. Das Ergebnis soll am 22. Juli ­bekanntgegeben werden.

Boris Johnson, derzeit Unterhausabgeordneter, war bereits Bürgermeister Londons und für kurze Zeit Außenminister. Als Mitglied des rechten Flügels der Partei, prominenter »Brexiter« und scharfer Kritiker Mays steht er für ­einen schnellen und kompromisslosen EU-Ausstieg, wenn möglich noch vor dem Ablauf der Frist am 31. Oktober, und wenn nötig ohne Abkommen. Johnson wirbt damit, die »schwarzen Tage« der gebeutelten Konservativen Partei und von Mays gescheiterter Ausstiegspolitik zu beenden. Für seine Wählerinnen und Wähler repräsentiert er einen Neuanfang, eine Rückkehr des britischen Optimismus und ein selbstbewusstes und wirtschaftlich starkes Großbritannien. Seine Wirtschaftspolitik ist trotz seiner harten Linie beim EU-Ausstieg auf Freihandel ausgerichtet, womit er verschiedene Flügel der konservativen Partei anspricht. Er grenzt sich deutlich von Hunt ab.

Dieser wird oft als »Theresa in Hosen« bezeichnet. 2016 trat er für einen Verbleib in der EU ein. Ähnlich wie May will er auf Wunsch seiner Wählerschaft den Ausstieg verwirklichen, tut dies aber nur »schweren Herzens«. Seine Strategie ist es, sich als den »besseren ­Jeremy« darzustellen, als Alternative zu Jeremy Corbyn, dem Vorsitzenden der Arbeitspartei. Viele Konservative warnen vor einer von Corbyn geführten »linksradikalen marxistischen Regierung«, wie der ehemalige Finanzminister George Osborne in der Zeitung ­Evening Standard. Labour scheint derzeit allerdings nicht das größte Problem für die Tories zu sein. Bei der Europawahl Ende Mai und den Wahlen der Stadt- und Gemeinderäte verloren sowohl sie als auch Labour Stimmen, die Grünen und vor allem die Liberaldemokraten gewannen Stimmen hinzu, stärkste Kraft wurde jedoch die neue, extrem rechte Brexit Party von Nigel Farage.

Johnson spricht mit seiner harten »Brexit«-Strategie sowohl die Parteimitglieder als auch eine Wählerschaft an, die von Theresa May und von der Verzögerung des EU-Ausstiegs enttäuscht ist. Wegen seines unorthodoxen und exzentrischen Auftretens, seines ­Opportunismus und seiner zahlreichen sprachlichen Fehlgriffe erinnert Johnson gelegentlich an Donald Trump. Skandale können ihm bislang wenig anhaben, seien es rassistische Äußerungen oder außereheliche Affären. Der Wochenzeitung Observer zufolge besteht eine enge Verbindung zwischen Johnson und dem ehemaligen Leiter von Trumps Wahlkampagne, Stephen Bannon, was Johnson abstreitet. Trump hat Johnson mehrfach gelobt.

Johnsons Verhalten und Aussagen folgen dem wohlüberlegten Kalkül ­eines Angehörigen der Oberschicht – wohlhabende Eltern, eine Ausbildung in Eton und Oxford –, der sich einen unordentlichen Haarschnitt leisten kann. Einen realistischen Plan für einen geregelten EU-Austritt und die Zeit ­danach hat er nicht, aber sein rechtskonservatives Programm entspricht der Stimmung der Mehrheit der »Brexiters«. Sein Sieg dürfte kaum noch aufzuhalten sein.