Bloß keinen sozialen Wohnungsbau
Als die Nachricht im Dezember 2018 kam, war die Freude groß: Das »Bündnis Mietentscheid« hatte genug Unterschriften gesammelt, die Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt am Main ist somit dazu verpflichtet, über seine Forderungen abzustimmen. Mehr als 22 000 Menschen hatten diese unterstützt (Jungle World 50/2018). Sie sehen vor, dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG Holding künftig nur noch geförderten Wohnraum für mittlere und niedrige Einkommen baut. Außerdem sollen Bestandsmieter der ABG mit Anspruch auf eine Sozialwohnung nur noch 6,50 Euro pro Quadratmeter zahlen. Freiwerdende Wohnungen der Baugesellschaft sollen nur noch gefördert vermietet werden. Doch seit der Übergabe der Unterschriften hat die Stadt nicht viel unternommen.
In einer repräsentativen Umfrage unterstützten 63 Prozent der Befragten die Forderungen des »Bündnis Mietentscheid«.
Alexis Passadakis, der Sprecher des »Bündnisses Mietentscheid«, war im Dezember davon ausgegangen, dass bis zur Europawahl Ende Mai eine Abstimmung der Stadtverordnetenversammlung erfolgen würde. Wäre diese gegen die Forderungen des Bündnisses ausgefallen, hätte ein Bürgerentscheid zusammen mit der Wahl stattfinden können. Es sei denn, die Versammlung hätte den Entscheid als unzulässig zurückgewiesen.
Aber bislang ist weder eine Abstimmung noch eine Zurückweisung erfolgt. Seit Monaten prüfen die zuständigen Behörden die Sache. Auf Nachfrage der Jungle World reagiert das Rechtsdezernat von Daniela Birkenfeld (CDU) schmallippig. Man wisse noch nicht, wann die Prüfung beendet sei. Auch zum Grund der langen Dauer der Prüfung möchte sich aus dem Rechtsdezernat niemand äußern.
Dass die Verantwortlichen mit dem Mietentscheid nicht einverstanden sind, haben sie bei vielen Gelegenheiten zu verstehen gegeben. Der Planungsdezernent Mike Josef (SPD) verweist auf die positive Haltung privater Investoren zum Mietentscheid, da diese bei dessen Verwirklichung einen Konkurrenten verlören. »Wenn wir diesen Weg gehen, werden wir am Ende nicht mehr bezahlbare Wohnungen bekommen, sondern weniger bezahlbare Wohnungen«, sagte Josef im Februar dem Lokalnachrichtenportal Merkurist.
Besonders ablehnend zeigt sich Frank Junker. Der Geschäftsführer der ABG spricht dem demokratisch legitimierten Entscheid »null Aussagekraft« zu. Junker verweist auf mangelnde Finanzierbarkeit und darauf, dass es durch den Bau von Sozialwohnungen zu einer »Ghettobildung« kommen könne.
In einem offenen Brief an Frankfurts Oberbürgermeister (SPD) kritisierten die Organisatoren des Mietentscheids vor zwei Wochen Junkers Stellungnahmen als »wiederholte öffentliche Falschaussagen«. »Diese sollen wohl dazu dienen, das Bürgerbegehren Mietentscheid Frankfurt in Misskredit zu bringen«, heißt es in dem Brief.
Ein anderes Bürgerbegehren, das kürzlich in Frankfurt stattgefunden hat, zeigt, wie berechtigt solche Befürchtungen sein können. Der sogenannte Radentscheid hatte sich zum Ziel gesetzt, die Verkehrspolitik in der Stadt zugunsten des Fahrradverkehrs zu beeinflussen. Auch dieser Entscheid wurde geprüft, über ein halbes Jahr lang. Er wurde dann wegen unzulässiger Formulierungen abgelehnt. Allerdings kam es dann doch noch anders: Um zu verhindern, dass die Initiatoren des Entscheids den Rechtsweg einschlagen, gingen der Verkehrsdezernent Klaus Oesterling (SPD) und Vertreter der Frankfurter Regierungsparteien Verhandlungen mit ihnen ein. Diese wurden kürzlich beendet. Die Organisatoren haben nach eigenen Angaben auf diesem Weg mehr erreicht, als sie ursprünglich im Radentscheid gefordert hatten.
Das alles hat Konsequenzen für den Mietentscheid. Sollte die Stadtverwaltung ihn wegen rechtlicher Mängel ablehnen, könnten die Organisatoren vor Gericht ziehen, um ihre Forderungen prüfen zu lassen. Sollte der Entscheid als zulässig anerkannt und von der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt werden, käme es zu einer Bürgerbefragung. Sie fiele einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zufolge eindeutig aus. 63 Prozent der Befragten unterstützen die Forderungen, 13 Prozent sind unentschlossen, nur 24 Prozent lehnen sie ab.
Der Magistrat, der von CDU, SPD und Grünen gestellt wird, bemüht sich beim Thema Wohnen um Aufstockung, Nachverdichtung und marktkonforme Maßnahmen. So hat er mit dem privaten Konzern Deutsche Wohnen AG, der kürzlich 22 Häuser in Frankfurt gekauft hat, ausgehandelt, dass nach Modernisierungsmaßnahmen die Bruttowarmmiete 30 Prozent des Einkommens der Mieter nicht überschreiten darf. Ein ähnliches Modell will die Deutsche Wohnen sich auch selbst auferlegen. Seit dem 1. Juli soll bei allen Erhöhungen, nicht nur nach Modernisierungen, die Miete 30 Prozent des Nettoeinkommens des Mieters nicht mehr übersteigen. Fraglich bleibt, wie genau der Konzern diese Selbstverpflichtung nehmen wird.