Die AfD und die bürgerlichen Parteien

Ein Herz für AfD-Wähler

Die CDU lehnt öffentlich jede Zusammenarbeit mit der AfD strikt ab. Auf kommunaler Ebene versteht man sich aber bereits bestens.
Kolumne Von

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki ist ein Mann ohne Berührungsängste, ein Mann des Rechtsstaats, der anderen, wenn es ihnen an den Kragen gehen könnte, entschlossen zur Seite springt. Rainer Brüderle konnte sich der Unterstützung seines Parteifreunds gewiss sein, als er mit Sexismusvorwürfen konfrontiert wurde. Auch Wladimir Putin durfte sich schon darüber freuen, dass Kubicki die Sanktionen gegen Russland gerne lockern würde – mindestens.

»Für ALLE noch einmal zum Mitschreiben: Die CDU lehnt Zusammenarbeit mit der AfD strikt ab!!!«

Vor allem aber haben es Kubicki extreme Rechte angetan. Nach der Hetzjagd von Chemnitz sagte er: »Die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im ›Wir schaffen das‹ von Kanzlerin Angela Merkel.« Als sich nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) eine Debatte über die Mitverantwortung der AfD an der Tat entwickelte, nahm Kubicki, der auch Strafverteidiger ist, in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) das rechtsextreme Wahlvolk in Schutz: »AfD-Wähler sind keine Mörder!« Das war schon deswegen etwas überraschend, weil niemand behauptet hatte, dass AfD-Wähler Mörder seien, wenngleich man zumindest nicht ausschließen kann, dass der Tatverdächtige Stephan E., der zunächst gestanden hatte, die AfD gewählt hat.

Eine Entschließung des CDU-Bundesvorstands und -Präsidiums zum Tod von Walter Lübcke schreibt der AfD auch keine strafrechtlich zurechenbare Schuld an dem Mord zu; sie zieht nicht einmal »eine ziemlich gerade Linie zwischen der AfD und dem Mord« (Kubicki), sondern weist auf ein komplexes, aber wichtiges Zusammenspiel hin: »Führende Repräsentanten der AfD und nicht wenige ihrer Mitglieder« trügen »Verantwortung für die gezielte Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas und die Verrohung des politischen Diskurses in unserem Land. Wer die AfD unterstützt, muss wissen, dass er damit bewusst auch rechtsradikalen Hass und Hetze, extreme Polarisierung und persönliche Diffamierungen in Kauf nimmt.« Jeder, der in der CDU für eine Annäherung an die AfD oder für Zusammenarbeit mit ihr plädiere, müsse wissen, »dass er sich einer Partei annähert, die rechtsextremes Gedankengut, ­Antisemitismus und Rassismus in ihren Reihen bewusst duldet. Er muss wissen, dass er sich einer Partei annähert, die ein ideologisches Umfeld unterstützt, aus dem der mutmaßliche Täter von Walter Lübcke gekommen ist.«

Die Debatte in CDU und CSU, die sich angesichts des Mords an Lübcke und der hämischen, hasserfüllten und triumphierenden Reaktionen der extremen Rechten entwickelt hat und auf die Kubicki eigentlich zielt, ist allerdings weitaus grundsätzlicher: Es geht um die Zusammenarbeit von CDU und CSU (und indirekt anderer Parteien) mit Funktionsträgern und Abgeordneten der AfD. Hier hat sich die CDU-Spitze eindeutig und sehr entschlossen positioniert, in den Worten des Generalsekretärs Paul Ziemiak auf Twitter: »Für ALLE noch einmal zum Mitschreiben: Die CDU lehnt jede ­Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD strikt ab!!!« Die Ausrufezeichen und das in Versalien mehr geschrieene als geschriebene »alle« signalisieren, dass es sich hier um einen verzweifelten Appell handelt, nicht um eine souverän formulierte, unumstrittene Feststellung.

Die FAS selbst hat auf der Seite, auf der sie Kubickis Entlastungsangriff für die AfD veröffentlichte, zusätzlich einen ausführlichen Hintergrundbeitrag über die für CDU und CSU spannungsreiche Frage des Verhältnisses zur AfD gedruckt. Tatsächlich gibt es nämlich in den östlichen Bundesländern auf kommunaler Ebene bereits ein »gedeihliches Miteinander«, wie die FAS-Autorin es nennt. Oft ­haben die Absprachen mit den zahlreichen AfD-Abgeordneten pragmatischen Charakter; so etwa in der thüringischen 4 750-Einwohner-Gemeinde Geisa, wo die CDU jeweils einen Ausschussvorsitz an die beiden einzigen sonst im Stadrat vertretenen Parteien – die Linkspartei und die AfD – abgetreten hat.

Es geht aber auch anders, nämlich enger. Die FAS weist darauf hin, dass der christdemokratische Ministerpräsident Sachsens, Michael Kretschmer, sich in seinem Wahlkampf von dem Politikwissenschaftler Werner Patzelt beraten lässt, der zuvor die AfD ­beraten habe und der der CDU Gesprächsbereitschaft gegenüber der AfD empfehle. In Sachsen-Anhalt haben die beiden stellver­tretenden Landtagsfraktionsvorsitzenden der CDU vor kurzem Aufsehen mit einer Denkschrift erregt, die nicht nur Koalitionen mit der AfD grundsätzlich für möglich erklärt, sondern auch verlangt, »das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen«.

In diesem Konflikt interveniert Kubicki – und er steht nicht allein. Der CDU-Politiker und ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, will Koalitionen mit der AfD nicht ausschließen; sein Nachfolger Thomas Haldenwang weist ebenfalls der Flüchtlingspolitik seit 2015 eine Mitverantwortung für das Erstarken des Rechtsextremismus zu.

Aus der FDP hat sich bislang wenig Widerspruch gegen den verharmlosenden Text ihres Spitzenpolitikers geregt. Im Mainstream der Gesellschaft beginnt eine Auseinandersetzung, deren Verlauf für die innenpolitische Entwicklung der nächsten Jahre von entscheidender Bedeutung sein wird: Zieht man eine klare Grenze zur AfD oder möchte man sich für den eigenen parteipolitischen Vorteil alle Optionen offenhalten? Spätestens der Mord an Walter Lübcke hat auch der Union gezeigt, um wie viel es geht.