Digitale Überwachung am Arbeitsplatz

Ein Herzchen für den Flow

Amazon kontrolliert seine Angestellten mit künstlicher Intelligenz, ein Algorithmus verschickt selbstständig Abmahnungen und Kündigungen. Deutsche Forscher wollen den digitalen Stasi-Kapitalismus nun weiter vorantreiben.

»Im Mittelpunkt steht der Mensch.« Dieser Satz muss als Drohung ver­standen werden, insbesondere wenn es um Arbeit geht, wie bei der Präsentation des Projekts Kern, das vom Karlsruher Institut für Technologie koordiniert wird. Schon für den Sklavenhalter und Feudalherren stand ja der Mensch im Mittelpunkt, aber es fehlte an effizienten Methoden, ihn auf Trab zu halten, wenn der Aufseher nicht in Sicht war. Dann kam der Kapitalismus mit seiner Mischung aus Belohnung, Drohung mit sozialem Absturz und Kontrolle. Die Fabrik- und Bürodisziplin kann man nicht so leicht austricksen, aber noch immer kann es vorkommen, dass der Lagerarbeiter sich Zeit lässt beim Schleppen der Kisten und der Büroangestellte an etwas ganz anderes als seine Arbeit denkt, während er mit leerem Blick auf den Bildschirm starrt.

Die sogenannte künstliche Intelligenz (KI) schafft Abhilfe. Bei Amazon kontrolliert ein Algorithmus die Arbeitsleistung und verschickt auch gleich ­Abmahnungen und Kündigungen, wenn diese nicht hoch genug ist. Im Call Center diverser US-Firmen zeigt das Programm Cogito den Angestellten auf dem Bildschirm an, was sie falsch machen. Klingen sie müde, erscheint eine Kaffeetasse, reden sie zu schnell, zeigt man ihnen ein Tachometer. Mangelt es dem Servicemitarbeiter nach Berechnungen der KI an Empathie, schickt ihm diese ein Herzchen auf den Bildschirm. Es versteht sich, dass die Vorgesetzten über die angeblichen Fehlleistungen ständig informiert werden. Aber ist damit schon das Höchstmaß an Leistungsfähigkeit ­erreicht? Beim Projekt Kern will man »Anstöße zur persönlichen und be­ruflichen Kompetenzentfaltung« geben und erkundet den »Flow«, einen »Zustand, in welchem eine Person völlig in einer Aufgabe aufgeht und dabei hoch konzentriert ist«. Die Probanden müssen »Sensoren in Armband oder Brustgurt tragen, die beispielsweise Herzfrequenz oder Hautleitwert messen«. Will der Flow nicht kommen, gibt es zur Strafe »Vorschläge zur persönlichen Kompetenzentwicklung« – es ist schließlich jeder selbst dafür verantwortlich, bei der Arbeit Höchstleistungen zu erbringen und dabei glücklich zu sein. Dass jemand seinen wertvollen Flow womöglich lieber außerhalb der ­Arbeitszeit hätte, statt ihn für den Chef zu verschwenden, ist natürlich auch nicht vorgesehen.

Sollten Sie dereinst verdrahtet an ­Ihrem Arbeitsplatz sitzen und sich fragen, wer zur Hölle diesen Stasi-Kapitalismus zu verantworten hat – der DGB gehört dazu. Das Projekt Kern wird von der Initiative Neue Qualität der Arbeit gefördert, der Gewerkschaften und Unternehmerverbände angehören. An sich sollte es ja die Aufgabe der ­Gewerkschaft sein, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Richtig an­gewendet, kann KI dabei nützlich sein. Wenn man sich am Arbeitsplatz zu sehr anstrengt, sollte auf dem Bildschirm als Mahnung ein Faultier erscheinen.