Arthur Jafa und das Kino der Blackness

Eine eigene Perspektive

Der US-amerikanische Filmemacher, Kameramann und Medienkünstler Arthur Jafa hat sich dem Thema »Blackness« verschrieben. Das Filmfest München zeigt nun ein von ihm kuratiertes Filmprogramm.

In dem Film »God’s Step Children« (USA 1938) kämpft ein kurz nach der Geburt von seiner Mutter zurückgelassenes Mädchen gegen seine schwarze Identität. Am ersten Schultag schleicht sich das eher hellhäutige Mädchen, kaum von der rechtschaf­fenen Adoptivmutter an der Eingangs­tür abgesetzt, heimlich davon, um sich einer Gruppe weißer Schülerinnen anzuschließen. Auch ein mehrjähriges Klosterexil ändert nichts an dieser Fixierung: Als junge Frau verlässt sie nicht nur ihr Baby, sondern auch ihr Schwarzsein und läuft in die weiße Gesellschaft über. »God’s Step Children« zählt – sicherlich auch wegen der Parallelen zu dem berühmten Melodram »Imitation of Life« (USA 1934) – zu den bekannteren Arbeiten des afroamerikanischen Filmpioniers Oscar Micheaux, der ­zwischen 1919 und 1948 in Eigenproduktion mehr als 40 Spielfilme ­realisierte.

In den Filmen von Charles Burnett, Haile Gerima und Larry Clark evoziert Musik die kollektive schwarze Geschichte, zugleich schreibt ihr Rhythmus eine völlig neue Filmgrammatik.

Auf dem diesjährigen Filmfest München war der in der schwarzen Community seinerzeit nicht unumstrittene Film – Micheaux wurde vorgeworfen, rassistische Stereoptype zu wiederholen – im Rahmen des von Arthur Jafa kuratierten Programms »A Peculiar Vantage« zu sehen. Dem US-amerikanischen Filmemacher, Kameramann und Künstler, der mit Fotografien und einer Videoarbeit derzeit auch in der Ausstellung »Forever Young« im Museum Brandhorst vertreten ist, ging es bei seiner Auswahl hauptsächlich um Einflüsse auf das eigene Werk. Die Genealogie des schwarzen Kinos beleuchtet die Reihe eher punktuell. So stand Micheaux’ Film über eine schwarze Frau, die versucht als Weiße »durchzugehen«, der mit sehr geringen Mitteln produzierte Episodenfilm »A Good Day to Be Black and Sexy« (2008) gegenüber. In diesem entwirft der in Los Angeles lebende Filmemacher Dennis Dortch, Mitinitiator der digitalen Plattform »Black & Sexy TV«, sechs kurze und stellenweise ziemlich komische Beziehungsszenarien, in denen verschiedene Paare sich mit der Artikulierung und Erfüllung ihrer sexuellen, romantischen und sonstigen Wünsche schwertun. Dortch geht es nicht zuletzt darum, die in der Popkultur verbreiteten Bilder schwarzer Hypersexualität hinter sich zu lassen – auch Spike Lees Fernsehserie »She’s Gotta Have It« setzt (weibliche) Sexualität als Spezialeffekt ein –, um das Beziehungsleben von People of Color in all seiner alltäglichen Kompliziertheit darzustellen.

 »Bush Mama«, Regie: Haile Gerima 1974.

 

Bild:
Filmfest München

Arthur Jafa, 1960 in Tupelo, Mississippi, geboren, ist in den vergangenen Jahren vor allem im Kunstbetrieb in Erscheinung getreten. 2017 richtete ihm die Londoner Serpentine Gallery eine Ausstellung aus, die anschließend in die Berliner Stoschek Collection wanderte. Die Biennale von Venedig zeigt seit dem Frühjahr seine Videoinstallation »The White Album« (2019), für die der Künstler mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Ende Juni eröffnete zudem eine große Schau im Stockholmer Moderna Museet. Die Wurzeln Jafas, der mit einem Architekturstudium begonnen hatte, liegen aber im Black Cinema. Vor allem die Begegnung mit dem Kino der L.A. Rebellion, einer Mitte der sechziger Jahre entstandenen Bewegung junger schwarzer Filmschaffender, die sich um den Filmstudiengang an der University of California in Los Angeles (UCLA) formierte, prägte ihn und führte zu neuen Arbeitszusammenhängen. Jafa war an Charles Burnetts »My Brother’s Wedding« (1983) beteiligt, arbeitete als Kameramann für Julie Dashs »Daughters of the Dust« (1991), eines der wichtigsten Werke des Black Cinema und Vorlage für Beyoncés Musikvideo »Lemonade«. Als Bildgestalter arbeitete er für John Akomfrah und Solange Know­les. Auch bei Spike Lees semiautobiographischer Arbeit »Crooklyn« (1994) führte Jafa die Kamera – ein Film, der vor allem dank seiner gequetschten anamorphotischen Bilder in Erinnerung bleibt.

In seinen eigenen Arbeiten befasst sich Jafa unter Verwendung unterschiedlichster Medien – Fotografie, Objekt, Film, Video, Performance – mit »Blackness«. Mechanismen der Ausgrenzung als Teil der schwarzen Erfahrung finden sich darin ebenso wie identitätsstiftende Praktiken. Grundierendes Element ist die schwarze Musik beziehungsweise ihre zentrale Bedeutung als kollektives – und historisch freiestes – Ausdrucksmedium afroamerikanischer Kultur. Jafas Videoarbeiten, die meist auf Found-Footage-Material basieren, vergleicht der Künstler gerne mit Mixtapes. Das vielleicht immer noch eindruckvollste Beispiel eines solchen Mix­tapes ist die Videoarbeit »Apex« (2013), die auf der Kinoleinwand im Münchner Filmmuseum allerdings nicht annähernd dieselbe Kraft entfaltete wie im Ausstellungsraum, wo der Film üblicherweise im monumentalen Wandbild-Format gezeigt wird. »Apex« besteht aus Bildern, die über eine Dauer von acht Minuten zu den treibenden Techno-Beats von Robert Hood eng getaktet aufeinanderfolgen und dabei eine ganz eigene, oft gewaltsame Poesie entfalten: Figuren aus der US-amerikanischen Pop­ulärkultur wie Mickey Mouse, Michael Jackson, King Kong, Kurt Cobain und Tupac, dazwischen »Die große Welle« von Katsushika Hokusai sowie Fotos von Lynchmorden und andere Bildzeugnisse weißer Gewalt.

»A Good Day to Be Black and Sexy«, Regie: Dennis Dortch, 2008.

Bild:
Filmfest München

Auch in der von Jafa zusammengestellten Filmreihe, die außer zwei Kurzfilmen von Julie Dash und Dawn Suggs ausschließlich Werke männlicher Regisseure, die meisten davon aus der L.A. Rebellion, versammelte (auch das begleitende Panel im Museum Brandhorst war ein reiner Männerclub), ist die Musik eine zentrale Komponente der Filmgestaltung. In den Filmen von Charles Burnett, Haile Gerima und Larry Clark evoziert Musik die kollektive schwarze Geschichte, zugleich schreibt ihr Rhythmus eine völlig neue Filmgram­matik, jenseits der Konventionen des Hollywood-Kinos. »Passing Through« von Larry Clark (1977) etwa ist ein politischer Jazzfilm (unter anderem mit Musik von Sun Ra und The Pan Afrikan Peoples Arkestra), der zwischen sehr freien, freejazzenden Passagen und einem agitatorischen Tonfall wechselt. Erzählt wird die Geschichte des aus dem Knast entlassenen Musikers Eddie Warmack, der sich gegen die Vereinnahmung durch die weiße Plattenindustrie zur Wehr setzt. In den Archivszenen spannt der Film einen historischen Bogen vom Civil Rights Movement bis hin zu den antikolonialen Kämpfen in Afrika.

»Chasing the Moon«, Regie: Haile Gerima, Dawn Suggs, 1991.

In Jafas filmischer Collage »Akingdoncomethas« (deutsch: So wird ein Reich kommen), die im großen Medienraum des Museums Brandhorst gezeigt wird, stehen Musik und Wort in einem ganz anderen Dienst. Der Film reiht lange, ungeschnittene Sequenzen von Predigern und Gospelsängerinnen und -sängern in ihren schwarzen Kirchengemeinden an­einander. Das durch die niedrige Bildauflösung meist verpixelte Material stammt aus unterschiedlichen Quellen und reicht von den Achtzigern bis hin in die nullerjahre. »Akingdoncomethas« zeigt in Spielfilmlänge den durch die lange Geschichte der Unterdrückung und Entfremdung geformten Glauben als Fundament schwarzer Gemeinschaftlichkeit. Dabei eröffnet sich ein ganzes Panorama an Tonalitäten und Gefühlszuständen: von ekstatisch und einlullend über zornig-apellativ bis hin zu elegisch. »Akingdoncomethas« ist intensives Überwältigungskino – als eine Form der Sichtbarmachung.