Französische Waffen in Libyen

Angriff auf Tripolis

In Libyen setzt der Warlord Khalifa Haftar seine Offensive auf Tripolis fort. Vergangene Woche wurden in einer von seinen Truppen verlassenen Basis Waffen gefunden, die der französischen Armee gehörten.

Das nennt man wohl ein Dementi. Nach der Entdeckung von Panzerabwehrgeschossen der französischen Armee auf einer Militärbasis des libyschen Kriegsherren Khalifa Haftar war das französische Verteidigungsministerium sichtlich um Erklärungsversuche bemüht. »Es kam nie in Betracht, an wen auch immer in Syrien Waffen und Munition zu verkaufen, abzugeben, zu verleihen oder weiterzuleiten«, verlautbarte das Ministerium in einer ersten Stellungnahme, die am 10. Juli kurz nach zehn Uhr von den Nachrichtenagenturen AFP und Reuters verbreitet wurde. In der Tat, möchte man kommentieren, denn Libyen ist nicht Syrien.

In den vergangenen Wochen erlitten Haftars Truppen wiederholt Rückschläge.

Nicht auszuschließen ist, dass es sich um einen Schreib- oder Zitierfehler ­einer der beiden Nachrichtenagenturen handelte. Auf der Website der französischen Tageszeitung Le Figaro war die Meldung allerdings auch nach einer Woche nicht korrigiert. Andere Medien wie Le Monde und die französisch­sprachige Ausgabe von Russia Today verbreiteten später am Tag eine Ver­sion des Dementis, in der von »Libyen« statt »Syrien« die Rede ist.

Auch wenn es sich nur um einen Fehler des Ministeriums oder einer Nachrichtenagentur gehandelt haben mag, ist die Anekdote bezeichnend. Bislang jedenfalls hat die französische Regierung keine triftige Erklärung dafür vorgebracht, wie es zum Transfer der Panzerabwehrraketen in den Machtbereich von Haftar kommen konnte. Dieser hat seit 2017 Ostlibyen unter seiner Kontrolle, attackiert jedoch seit ­Anfang April auch den Raum Tripolis in Westlibyen und rückt dort gegen die sogenannte Nationale Konsensregierung (GNA) ­unter Ministerpräsident Fayez al-Sarraj vor. In den vergangenen Wochen erlitten Haftars Truppen dabei jedoch wiederholt Rückschläge.

Der GNA in Tripolis loyale libysche Truppen fanden die Panzerabwehr­geschosse Ende Juni im westlichen Landesteil in Gharian auf einer von den Truppen Haftars, der Libyschen Nationalen Armee (LNA), verlassenen Basis. Es handelte sich um Geschosse, die in den USA gekauft und unter der Waffenbezeichnung »Javelin« von den französischen Streikkräften in Dienst genommen worden waren. Zunächst hatte man die Vereinigten Arabischen Emirate verdächtigt, die Waffen in den USA erworben zu haben; sie dementierten das jedoch.

Saudi-Arabiens Mann

Dann kam heraus, dass Frankreich für den Transfer der Waffen verantwortlich gewesen war. Die GNA verlangte daraufhin am 11. Juli »dringend ­Erklärungen« von der französischen Regierung. Einen Tag später erklärte diese, die Waffen hätten sich in den Händen französischer Spezialein­heiten befunden, die in Libyen den »Islamischen Staat« (IS) bekämpft hätten. Der IS hatte sich Mitte des Jahrzehnts vorübergehend in Syrte an der Mittelmeerküste festgesetzt, er wurde jedoch militärisch besiegt und 2016 von dort vertrieben. Für Kampfeinsätze der französischen Armee gegen den IS gibt es derzeit in Libyen keinen Anlass.

Am Sieg über den IS dort hatte die »Brigade 166« von Misrata einen maßgeblichen Anteil, auch wenn dieser Erfolg nachträglich oft fälschlicherweise Haftar zugeschrieben wird. Sie ist eine der nunmehr der westlibyschen Regierung dienenden, teilweise aber nicht von ihr kontrollierten Milizen.

Der General und spätere Marschall Haftar nahm seinen politisch-militärischen Aufschwung vor allem ab 2014 in der ostlibyschen Metropole Bengasi, wo er zunächst die salafistische Kombattantengruppe Ansar al-Sharia (Anhänger der Sharia) bekämpfte, später auch regionalistische Separatisten in der ostlibyschen Kyrenaika. Im Kampf gegen den IS war er hingegen nicht der wichtigste Akteur. In den vergangenen Monaten wurde Haftar vor allem von Saudi-Arabien – dem Regime sowie der dort verbreiteten salafistischen Strömung der Madhkalisten –, den übrigen Golfstaaten mit Ausnahme von Katar sowie Ägypten unterstützt.

Die Gegenseite, die GNA, wird seit Langem von der Türkei und Katar unterstützt. Nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi hatten in Libyen am 25. Juni 2014 Parlamentswahlen stattgefunden. Allerdings konkurrierten zwei siegreiche Lager, die Wahlen wurden gerichtlich annulliert und es entstanden zwei rivalisierende Regierungen und Parlamente – eines mit Sitz in Tripolis, das andere im östlichen Tobruk. In Westlibyen herrschte eine Koalition aus Muslimbrüdern, sonstigen Islamisten und ihnen nahestehenden Milizen. Die bürgerlich-nationalistische Regierung in Tobruk wiederum heuerte den ab 2013/2014 bereits erstarkten Haftar als ihren Militärchef an. Infolge einer unter internationaler Vermittlung im Dezember 2015 im marokkanischen Shkirat getroffenen Vereinbarung trat die westlibysche Regierung unter Khalifa al-Ghawil ab. Ende März 2016 nahm die von der UN eingesetzte GNA unter Sarraj ihre Amtsgeschäfte auf. Die ostlibysche Regierung in Tobruk erhielt ihre Strukturen jedoch aufrecht, seit kurzem ist sie nun in Bengasi ansässig.

Das Schicksal der Migranten

Teil der Vereinbarung von Skhirat war es auch, dass die nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes entstandenen Milizen ihr Eigenleben beenden und in eine einheitliche Armee eingegliedert werden sollten. Dazu kam es jedoch nicht, die Tripolis verteidigende Force de protection de Tripoli (FPT) etwa besteht aus vier miteinander verbündeten, jedoch autonomen Milizen. Allerdings sind manche dieser Verbände seit 2016 nicht mehr so stark islamistisch geprägt, viele lokale bewaffnete Gruppen handeln vor allem zu ihrem eigenen Vorteil und um ihren Warlords Zugriff auf Ressourcen des Landes zu sichern.

Die Regierungen der Türkei und Katars als Verbündete der GNA sind jedoch geschwächt: Die Türkei hat seit 2018 große wirtschaftliche Probleme; Katar wurde seit 2017 durch seine Nachbarstaaten am Golf diplomatisch und ökonomisch isoliert und boykottiert. Den 30. Gipfel der Arabischen Liga am 31. März dieses Jahres in Tunis verließ der Emir von Katar, Tamim bin Hamad al-Thani, bereits nach der Eröffnungsfeier ohne Angabe von Gründen. Nicht zuletzt sind auch die europäischen Mächte uneins. Frankreich unterstützt mehr oder weniger offen Haftar und ließ ihn auf französischem Boden medizinisch behandeln.

Der Krieg in Libyen richtet die internationale Aufmerksamkeit auch wieder auf Migranten und Flüchtlinge, die in Libyen festsitzen. Dem UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge befinden sich in Libyen rund 50 000 registrierte Flüchtlinge und Asylsuchende und rund 800 000 weitere Migranten. Viele von diesen sitzen in Haftzentren fest, die genaue Zahl der Internierten ist nicht bekannt, Schätzungen gehen von bis zu 6 000 Menschen in 24 Haftzentren aus. Am Abend des 2. Juli wurde ein Haftzentrum für Migranten in Tajoura, rund 30 Kilometer südlich von Tripolis, angegriffen, wobei mindestens 66 Insassen getötet wurden, mutmaßlich von Truppen Haftars.

Dieser gibt den Truppen der GNA die Schuld für den Angriff, die UN fordern eine unabhängige Untersuchung. Bereits im Mai war das Haftzentrum bombardiert worden, damals zielten die Truppen Haftars allem Anschein nach auf einen in der Nähe liegenden Stützpunkt einer Miliz, die die GNA unterstützt. Die Verantwortung für das Bombardement trägt Haftar, jene für die Internierung der Migranten und ihre Haftbedingungen tragen jedoch die GNA sowie die ihr unterstellten Milizen. Die ost­libysche Zeitung al-Onwan – in ihrer englischsprachigen Ausgabe The Address – berichtete, die Milizen hätten inhaftierte Migranten unter anderem zum Reinigen ihrer Waffen gezwungen. Mittlerweile wurden zumindest die in Tajoura internierten Migranten wegen des Bombardements und des dadurch ausgelösten internationalen Skandals freigelassen.

In jüngerer Zeit hat die Politik vor allem Italiens, aber auch der übrigen EU-Staaten den Weg über das Mittelmeer für in Libyen feststeckende Migranten weitgehend versperrt. Von Jahresbeginn bis zum 20. Juni zählte das ­UNHCR über 3 000 von der libyschen Küstenwache aufgegriffene und in das Land zurückgebrachte Migranten. Nur 2 000 konnten in Italien landen, ein Bruchteil der Zahlen aus den Jahren 2013 bis 2015.