Über die Banalisierung des Traumas

Schöner leiden

Seite 2 – Betroffene verlieren Deutungshoheit

Jenseits der Popkultur zeigt sich die banalisierende Glorifizierung des Traumas in Konzepten wie den »Mikrotraumen«. Hiermit sind eine Vielzahl kleiner negativer Ereignisse gemeint, die die seelische Entwicklung eines Menschen angeblich beeinträchtigen. Darf man in Frage stellen, ob solche kleinen Verletzungen die Bezeichnung Trauma verdienen? Es muss möglich sein, negative Erfahrungen zu besprechen und deren Auswirkungen wahrzunehmen, ohne dass diese mit Ge­fangenschaft, Vergewaltigung oder Folter gleichgesetzt werden. Die Psychotherapie kennt genügend Konzepte und Begriffe, um zu beschreiben, wie schwierige Lebensumstände, aversive Ereignisse und ungesunde Beziehungen die seelische Verfassung von Menschen beeinträchtigen. Seelische Störungen können auf diese Weise entstehen und es ist wichtig, das zu wissen und zu benennen. Aber es ist auch wichtig, diese Art der ­Beeinträchtigung begrifflich von dem zu trennen, was in der Fachsprache eigentlich mit einem Trauma gemeint ist.

Alle Geflüchtete pauschal als Traumatisierte abzustempeln, ist unfair.

Ein Trauma ist eine durch ein äußeres Ereignis eintretende Verletzung. Zunächst ist damit beispielsweise ein Knochenbruch bei einem Unfall ­gemeint. Es kann sich auch um seelische Verletzungen handeln. Aber das Trauma ist nicht das Ereignis selbst und so kann man Opfer von Katastrophen werden und trotzdem nicht traumatisiert sein. Wie ein Mensch ein furchtbares Erlebnis verarbeitet, hängt von vielen Faktoren ab. Dazu gehört die Resilienz, also die individuelle Fähigkeit, Schlimmes zu verdauen und Erschütterungen zu überstehen.

Der Hinweis darauf, wie viele der Flüchtlinge »traumatisiert« sind, ist wichtig, denn das Schicksal, das die Einzelnen hatten, wird viel zu schnell hinter Zahlen verborgen. Eigentlich ist es logisch, dass Menschen, die aus einem Kriegsgebiet kommen, größtenteils Zeuge oder Opfer von schrecklichen Ereignissen wurden. Es ist auch wichtig, die Augen offen zu halten, wer von ihnen eine psychische Störung davongetragen hat, und dann zu helfen. Aber die pauschale Einordnung aller Geflüchteten als Traumatisierte ist in mehrfacher Hinsicht unfair. Sie nimmt den Betroffenen die Deutungshoheit über ihre Erlebnisse. Ob man dem Krieg und seinen Folgen und Begleiterscheinungen fatalistisch, hoffnungsvoll, mutig, trotzig, verzweifelt, als Opfer oder Gestalter begegnet, bleibt einem dann nicht mehr selbst überlassen. Für diejenigen, die von den tragischen Erinnerungen stärker gequält werden, die davon krank geworden sind, ist es ebenso unfair, weil ihr klinisch relevantes Leid keiner anderen Kategorie mehr zugeordnet wird als das von jemandem, der ähnliche Erlebnisse besser überstanden hat. oder auch als das von jemandem, der sich von Kommilitonen durch »Mikrotraumen« gemobbt fühlt.