Über die Banalisierung des Traumas

Schöner leiden

Seite 3 – Die verdrängte deutsche Schuld

Der Psychologe Renos Papadopoulos ist Professor an der Universität von Essex und arbeitet mit Folter­opfern und Flüchtlingen. Er schreibt, dass es beim medizinischen Personal die Tendenz gebe, den Flüchtlings­status selbst schon einem Krankheitsstatus gleichzusetzen. Er hat die ­unterschiedlichen Auswirkungen erforscht, die katastrophale Ereignisse auf Geflüchtete haben können. Dazu gehören selbstverständlich schwerwiegende psychische Probleme. Es können aber auch positive Entwicklungen angestoßen werden oder die Ereignisse können sich in der Summe neutral auf die Psyche auswirken. Das heißt nicht, dass man die zugrundeliegenden Ereignisse verharmlost, sondern es bedeutet, die positive Kraft anzuerkennen, mit der manche dem Schrecken begegnen.

Wer kein Trauma vorzuweisen hat, wird womöglich bald als unsensibel und gefühlskalt gelten.

Wenn man an die Nachkriegsgeneration hierzulande denkt, wirft das die Frage auf, ob auch diese als »traumatisiert« aufzufassen ist. Tatsächlich machen die Mitarbeiter in Geriatrie und Altenpflege häufig die Erfahrung, dass Traumata plötzlich wieder eine Rolle spielen, wenn die ­Betroffenen im Alter verletzlicher oder einsamer werden.

Diese »traumatisierte« Generation hat größtenteils mit Verdrängung gearbeitet, sowohl der eigenen Schuld als auch der eigenen Traumata. Ihr ist auf diese Weise viel gelungen. Aber der Preis war hoch – für den Einzelnen, der vielleicht nie einen Umgang mit den Erinnerungen gefunden hat, wie für die Gesellschaft, die ­dieses Tabu in sich getragen hat, das sich im Wiedererstarken der ­Geschichtsrevisionisten in den vergangenen Jahrzehnten zeigt.

Aber vielleicht gehört die Banalisierung des Traumas zu den Symptomen dieser verdrängten Last. Vielleicht ist die Tendenz, alles und ­jeden in den Opferstatus zu erheben, mit Therapien zu versehen und den Einzelnen letztlich die Deutungs­hoheit über die eigene Geschichte abzusprechen, selbst ein Versuch, die deutsche Schuld und die eigene Verletzlichkeit zu neutralisieren.

Fast ist zu befürchten, dass ein Mensch, der ein traumatisches Ereignis relativ unbeschadet übersteht, bald als stumpf gelten wird. Wenn jeder überall seine Traumata geltend macht, große wie kleine, dann wird derjenige, der entweder kein Trauma vorweisen kann oder – schlimmer noch – aus einem solchen nicht traumatisiert hervorgegangen ist, wie ein Tölpel wirken, unsensibel, gefühlskalt. Und derjenige, der Opfer von Menschenhandel und Missbrauch wurde, wird sich im Land der Täter ­sagen lassen müssen, dass er sich bitte nicht mehr anstellen soll als sein Nachbar, der mal von seinem Professor getriggert wurde.

Robert von Cube ist Autor und Psychiater.