Über die Banalisierung des Traumas

Schöner leiden

Das Wort Trauma wird in Deutschland inflationär verwendet. So relativiert man tatsächlich erfahrenes Leid.

Es ist ein seltsames Phänomen, dass Traumata derzeit gleichzeitig eine Banalisierung und eine Glorifizierung erfahren. Ohne ein ordentliches Trauma scheint heutzutage keine interessante Figur in einem Film oder Roman mehr denkbar zu sein. In den Büchern von Stieg Larsson beispielsweise erwachsen der Protagonistin Lisbeth Salander aus ihrer seelischen Verwundung geradezu Superkräfte. Die Verwundung ist hier kein Schrecken, sondern eine Stärke.

Die Popularisierung des Traumas ist ein Missbrauch des Missbrauchs.

Das Perfide an dieser Popularisierung des Traumas ist, dass man als Kritiker dieser Mode sofort fürchten muss, wie jemand dazustehen, der das Leid von Menschen nicht anerkennt. Ist es nicht ein Dienst an den Opfern dieser Welt, sie mal als Helden zu zeigen? Ist Lisbeth nicht ein Fanal für alle seelisch Verletzten, ­damit sie ihren Weg finden und Kraft aus ihrem Schicksal ziehen können? Nein. Denn Lisbeth ist offenkundig am Reißbrett entstanden, um eine Funktion in einem Krimi zu erfüllen. Die voyeuristische Lust, mit der in den Büchern Larssons weitere Gewalt beschrieben wird, beweist, dass es nicht wirklich um das Schicksal dieser Frau geht, sondern nur darum, den Leser mit wohligem Grusel zu unterhalten. Die grausame Vorgeschichte der Heldin ist nichts als ein Missbrauch des Missbrauchs.

Noch banaler funktioniert die ­Popularisierung des Traumas bei der Sängerin Pink, deren jüngstes ­Album »Beautiful Trauma« hieß. Das Trauma im gleichnamigen Lied ist hervorgerufen worden durch eine schwierige Beziehung, die wie eine Droge beschrieben wird, von Hochgefühlen und Tiefpunkten geprägt. Ein bisschen beautiful eben, daneben ein wenig Trauma. Ohne Trauma keine Tiefe, keine Bedeutung, so scheint es. Das Video, dem Stern zufolge »witzigstes Video des Jahres«, zeigt eine bunte Fünfziger-Jahre-Welt mit öder Ehe, die auf sehr einfache Weise plötzlich spannend wird: Pink und ihr fiktiver Ehemann Channing Tatum tauschen die Kleider, bevor es zu einer Sado-Maso-Szene mit einer weiteren Frau kommt. So einfach kriegt eine Beziehung wieder Pfiff.

Ähnlich schematisch scheint die verbreitete Vorstellung von Trauma und dessen Therapie. Die besteht nämlich nicht darin, ein Trauma »aufzudecken« und auf irgendeine magische Weise zu »bearbeiten« und damit ungeschehen zu machen. Die wenigsten Traumata sind verdrängt, normalerweise erinnert man sich an katastrophale Ereignisse in seinem Leben besser und öfter, als einem lieb ist.

Betroffene verlieren Deutungshoheit

Jenseits der Popkultur zeigt sich die banalisierende Glorifizierung des Traumas in Konzepten wie den »Mikrotraumen«. Hiermit sind eine Vielzahl kleiner negativer Ereignisse gemeint, die die seelische Entwicklung eines Menschen angeblich beeinträchtigen. Darf man in Frage stellen, ob solche kleinen Verletzungen die Bezeichnung Trauma verdienen? Es muss möglich sein, negative Erfahrungen zu besprechen und deren Auswirkungen wahrzunehmen, ohne dass diese mit Ge­fangenschaft, Vergewaltigung oder Folter gleichgesetzt werden. Die Psychotherapie kennt genügend Konzepte und Begriffe, um zu beschreiben, wie schwierige Lebensumstände, aversive Ereignisse und ungesunde Beziehungen die seelische Verfassung von Menschen beeinträchtigen. Seelische Störungen können auf diese Weise entstehen und es ist wichtig, das zu wissen und zu benennen. Aber es ist auch wichtig, diese Art der ­Beeinträchtigung begrifflich von dem zu trennen, was in der Fachsprache eigentlich mit einem Trauma gemeint ist.

Alle Geflüchtete pauschal als Traumatisierte abzustempeln, ist unfair.

Ein Trauma ist eine durch ein äußeres Ereignis eintretende Verletzung. Zunächst ist damit beispielsweise ein Knochenbruch bei einem Unfall ­gemeint. Es kann sich auch um seelische Verletzungen handeln. Aber das Trauma ist nicht das Ereignis selbst und so kann man Opfer von Katastrophen werden und trotzdem nicht traumatisiert sein. Wie ein Mensch ein furchtbares Erlebnis verarbeitet, hängt von vielen Faktoren ab. Dazu gehört die Resilienz, also die individuelle Fähigkeit, Schlimmes zu verdauen und Erschütterungen zu überstehen.

Der Hinweis darauf, wie viele der Flüchtlinge »traumatisiert« sind, ist wichtig, denn das Schicksal, das die Einzelnen hatten, wird viel zu schnell hinter Zahlen verborgen. Eigentlich ist es logisch, dass Menschen, die aus einem Kriegsgebiet kommen, größtenteils Zeuge oder Opfer von schrecklichen Ereignissen wurden. Es ist auch wichtig, die Augen offen zu halten, wer von ihnen eine psychische Störung davongetragen hat, und dann zu helfen. Aber die pauschale Einordnung aller Geflüchteten als Traumatisierte ist in mehrfacher Hinsicht unfair. Sie nimmt den Betroffenen die Deutungshoheit über ihre Erlebnisse. Ob man dem Krieg und seinen Folgen und Begleiterscheinungen fatalistisch, hoffnungsvoll, mutig, trotzig, verzweifelt, als Opfer oder Gestalter begegnet, bleibt einem dann nicht mehr selbst überlassen. Für diejenigen, die von den tragischen Erinnerungen stärker gequält werden, die davon krank geworden sind, ist es ebenso unfair, weil ihr klinisch relevantes Leid keiner anderen Kategorie mehr zugeordnet wird als das von jemandem, der ähnliche Erlebnisse besser überstanden hat. oder auch als das von jemandem, der sich von Kommilitonen durch »Mikrotraumen« gemobbt fühlt.

Die verdrängte deutsche Schuld

Der Psychologe Renos Papadopoulos ist Professor an der Universität von Essex und arbeitet mit Folter­opfern und Flüchtlingen. Er schreibt, dass es beim medizinischen Personal die Tendenz gebe, den Flüchtlings­status selbst schon einem Krankheitsstatus gleichzusetzen. Er hat die ­unterschiedlichen Auswirkungen erforscht, die katastrophale Ereignisse auf Geflüchtete haben können. Dazu gehören selbstverständlich schwerwiegende psychische Probleme. Es können aber auch positive Entwicklungen angestoßen werden oder die Ereignisse können sich in der Summe neutral auf die Psyche auswirken. Das heißt nicht, dass man die zugrundeliegenden Ereignisse verharmlost, sondern es bedeutet, die positive Kraft anzuerkennen, mit der manche dem Schrecken begegnen.

Wer kein Trauma vorzuweisen hat, wird womöglich bald als unsensibel und gefühlskalt gelten.

Wenn man an die Nachkriegsgeneration hierzulande denkt, wirft das die Frage auf, ob auch diese als »traumatisiert« aufzufassen ist. Tatsächlich machen die Mitarbeiter in Geriatrie und Altenpflege häufig die Erfahrung, dass Traumata plötzlich wieder eine Rolle spielen, wenn die ­Betroffenen im Alter verletzlicher oder einsamer werden.

Diese »traumatisierte« Generation hat größtenteils mit Verdrängung gearbeitet, sowohl der eigenen Schuld als auch der eigenen Traumata. Ihr ist auf diese Weise viel gelungen. Aber der Preis war hoch – für den Einzelnen, der vielleicht nie einen Umgang mit den Erinnerungen gefunden hat, wie für die Gesellschaft, die ­dieses Tabu in sich getragen hat, das sich im Wiedererstarken der ­Geschichtsrevisionisten in den vergangenen Jahrzehnten zeigt.

Aber vielleicht gehört die Banalisierung des Traumas zu den Symptomen dieser verdrängten Last. Vielleicht ist die Tendenz, alles und ­jeden in den Opferstatus zu erheben, mit Therapien zu versehen und den Einzelnen letztlich die Deutungs­hoheit über die eigene Geschichte abzusprechen, selbst ein Versuch, die deutsche Schuld und die eigene Verletzlichkeit zu neutralisieren.

Fast ist zu befürchten, dass ein Mensch, der ein traumatisches Ereignis relativ unbeschadet übersteht, bald als stumpf gelten wird. Wenn jeder überall seine Traumata geltend macht, große wie kleine, dann wird derjenige, der entweder kein Trauma vorweisen kann oder – schlimmer noch – aus einem solchen nicht traumatisiert hervorgegangen ist, wie ein Tölpel wirken, unsensibel, gefühlskalt. Und derjenige, der Opfer von Menschenhandel und Missbrauch wurde, wird sich im Land der Täter ­sagen lassen müssen, dass er sich bitte nicht mehr anstellen soll als sein Nachbar, der mal von seinem Professor getriggert wurde.

Robert von Cube ist Autor und Psychiater.