Der Traum vom roten Kleid begann an einem dieser abscheulichen kühl-nassen Spätwintertage, an denen alles unschön ist, vom grauen Himmel über die viel zu früh einsetzende Dämmerung bis hin zum gräulichen Matsch, der von Auto- und Fahrradfahrern gleichermaßen aufgewirbelt und auf arglosen Fußgängerinnen verteilt wurde.
In diesem Sommer würde alles anders werden, lautete der umgehend umgesetzte Beschluss. Und es wurde ein rotes Kleid erworben, und zwar ein ganz schlichtes, einfach bloß ein Kleid, und das in rot, ohne Verzierungen und Muster und Zeugs. So ein rotes Kleid würde im Gegensatz zu, sagen wir, einem Abo vom Spiegel den Vorteil haben, dass man die Anschaffung nie bereuen würde, weil es einfach nur da sein und schön sein würde und keine indolenten Artikel über herbeihalluzinierte jüdische Lobby-Verschwörungen beinhalten würde.
Ein unerhörter Glücksfall führte dann noch dazu, dass der Lieblingsschuhhersteller eines Tages im Farbton exakt passende rote Pumps anbot. Ganz klar, der Sommer würde perfekt werden. Und dann wurde alles ganz anders, jedenfalls was das rote Kleid und die Pumps betraf und natürlich nicht in Sachen Spiegel, der die Befürchtungen locker übertraf. Erstmal sind wir beim Wetter, das sich als äußerst unkooperativ erwies, weil, naja, Wetter halt, entweder ist es warm und man sitzt in Badekleidung an einem Wasser oder es ist doof und würde die schönen neuen Pumps nass machen, die unglücklicherweise aus Wildleder und damit sehr empfindlich sind.
Aber da ist ja noch der Spiegel. Beziehungsweise das Geld, das man ja Jahr für Jahr durch ein Nicht-Abo spart. Deswegen scheiß drauf, ab jetzt Wildlederpumps auch im Regen, werden halt nächstes Jahr neue gekauft, und im Jahr danach auch.