Die Abschottungspolitik der EU

»Die Sahara ist ein Friedhof«

Seite 5 – »Lektion in Sachen Menschlichkeit«
Interview Von

 

Aber die genannten Gefahren sind doch sehr real.
Ja. Auch wir erzählen den Menschen von diesen Risiken. Aber bei unseren Informationsveranstaltungen erklären wir zum Beispiel auch die Rechtslage. Wir halten die Menschen nicht davon ab, sich auf den Weg zu machen, sondern lassen sie selbst über ihr Schicksal entscheiden. Wir rüsten sie aus, damit sie wissen, was vor ihnen liegt, und geben ihnen Informationsmaterial mit konkreten Ratschlägen: etwa zu vermeiden, ein altes Fahrzeug zu nehmen, das leicht eine Panne haben könnte. Oder genügend Wasser mitzunehmen und Kleidung, um sich vor Sonne, Staub und Kälte zu schützen.

Auch in Libyen unterstützt die IOM Migranten dabei, »freiwillig« in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Dort hat die IOM seit 2015 mehr als 40 000 Rückführungen organisiert.
In Libyen werden Migranten in Internierungslager gesperrt, wo sie einmal am Tag Brot und Wasser zu essen bekommen. Sie werden gefoltert oder sogar getötet, Frauen werden vergewaltigt. Dann kommen die Mitarbeiter der IOM in die Lager, schauen sich in den Zellen um und fragen, wer nach Hause zurückkehren möchte. Wer wird da Nein sagen? Das ist keine freiwillige Rückkehr, das ist erzwungen.

In Libyen gibt es noch ein weiteres Programm, das zumindest einigen Geflüchteten ermöglicht, diesen ­Zuständen zu entkommen. Im Rahmen des sogenannten Emergency Transit Mechanism (ETM) wurden seit Ende 2017 fast 3 000 Menschen nach Niger evakuiert. Was erwartet diese Menschen in Niger?
Sie leiden sehr. Sie haben sogar einen Protest in der Hauptstadt Niamey ­organisiert, weil bisher nur sehr wenige Menschen dauerhaft umgesiedelt wurden. Videos zeigen, wie die Polizei Tränengas gegen die Demonstrierenden einsetzte. Die Bedingungen für diese Geflüchteten sind sehr schlecht. Viele eritreische und somalische Frauen haben angefangen, sich zu prostituieren, weil sie keine anderen Möglichkeiten haben.

Sie kämpfen seit vielen Jahren für die globale Bewegungsfreiheit. Doch immer mehr Staaten auf der ganzen Welt errichten Mauern, um Migrationsbewegungen aufzu­halten. Deprimiert Sie das?
Ja, das deprimiert mich sehr. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was politisch korrekt wäre, und dem, was tatsächlich getan wird. Beispielsweise ist Nigers Präsident Issoufou vor kurzem zum ECOWAS-Präsidenten gewählt worden. Der Kern von ECOWAS ist der freie Verkehr von ­Waren und Personen. Wie kann ein Politiker, der im Gegenzug für EU-Gelder Afrikaner davon abhält, durch ihr eigenes Land zu reisen, zum Präsidenten dieser Gemeinschaft gemacht werden? Das ist doch unfassbar.

Was gibt Ihnen da die Kraft, weiterzumachen?
Solche Aktionen wie die von Carola ­Rackete, der Kapitänin der »Sea Watch 3«. Indem sie die Blockade durchbrach, hat sie der Menschheit eine Lektion in Sachen Menschlichkeit erteilt.


Ibrahim Manzo Diallo ist Gründungsmitglied und Ehrenvorsitzender von »Alarmphone Sahara«, einem Projekt, das sich für Migranten und Geflüchtete in der Sahel-Zone einsetzt und sie praktisch unterstützt. Daneben ist er Gründer und Herausgeber der nigrischen Online-­Zeitung »Aïr Info«, Leiter des Radiosenders Sahara FM sowie Koordinator des Journalistennetzwerks »Alter­native Espaces Citoyens«.