Die aggressive Außenpolitik der Türkei

Von Terroristen umzingelt

Die türkische Regierung sucht außenpolitisch die Konfrontation. Erdoğan braucht den ständigen Ausnahmezustand, um an der Macht zu bleiben.

Die türkische Außenpolitik scheint auf Provokation geradezu versessen zu sein. Illegale Erdgasbohrungen der Türkei vor Zypern im östlichen Mittelmeer haben Mitte Juli EU-Sanktionen nach sich gezogen. Wegen des Erwerbs des russischen Langstreckenluftabwehrsystems S-400, für das vorvergangene Woche erste Raketenteile angeliefert wurden, haben die USA die Türkei aus dem F-35-Kampfflugzeugprogramm ausgeschlossen. Beides schadet der Türkei offensichtlich.

»Warum nur verdoppelt der Präsident seine Bemühungen, die Türkei auf dem schnellsten Wege in ihr Unglück zu führen?« fragte der aus Washington, D.C., berichtende Korrespondent des Online-Magazins Ahval, İlhan Tanır, in einer Kolumne am vergangenen Wochenende in Hinblick auf die aggressive Außenpolitik von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Die Entscheidungen widersprechen jeder Logik, sind aber wohl auf ein Zusammenwirken von innenpolitischen Konflikten und Rivali­täten im eigenen politischen Lager zurückzuführen.

Die EU-Außenminister beschlossen am 15. Juli Strafmaßnahmen gegen die Türkei. Die EU setzte die Verhandlungen über ein Luftverkehrsabkommen mit der türkischen Regierung aus. Wichtige Verhandlungen, unter anderem über Wirtschaft und Handel, wurden bis auf Weiteres abgebrochen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) wurde aufgefordert, ihre Kreditvergabe an die Türkei zu überprüfen. Das könnte sich für die Türkei zur Katastrophe auswachsen, die EU ist der wichtigste Handelspartner und ein bedeutender Kreditgeber des Landes. Die türkische Regierung zeigte sich von den EU-Sanktionen unbeeindruckt. Die Arbeiten würden fortgesetzt, kündigte sie am Dienstag vergangener Woche an. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sagte, die Reaktion der EU auf die Bohrungen müsse man nicht sonderlich ernst nehmen: »Das sind Trivialitäten. Nichts, was uns beeinflussen wird.«

Eskalation mit Kalkül

Ebenfalls am 15. Juli kündigte US-Präsident Donald Trump Sanktionen an. Das Pentagon hatte das türkisch-russische Abkommen über den Erwerb des Luftabwehrsystems S-400 als direkte Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA bezeichnet. Die USA und ihre Nato-Partner befürchten, dass Russland die Zusammenarbeit mit der Türkei zur Rüstungsspionage nutzen und so in den Besitz sensibler Daten über das Mehrzweckkampfflugzeug F-35 gelangen könnte. Drei Tage später, am 18. Juli, schlossen die USA und an­dere Projektpartner die Türkei vom Bau des F-35-Jets aus, als tatsächlich die ersten S-400 Raketenteile geliefert worden waren.

Die außenpolitische Eskalation folgt zeitlich einem Kalkül. Der 15. Juli war der dritte Jahrestag des gescheiterten Militärputsches in der Türkei, für den die Regierung den in den USA lebenden Anführer der Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, verantwortlich macht. Erdoğan hielt eine Brandrede am ehemaligen Atatürk-Flughafen in Istanbul, der im Frühjahr wegen der Eröffnung des desaströs teuren und überdimensionierten neuen Großflughafens im Norden der Stadt geschlossen worden war. Während er das Bündnis mit Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin – der vor einigen Jahren als Verbündeter des Regimes Bashar al-Assads in Syrien noch als größter Feind galt – als vorteilhaft für das Land lobte, wetterte er gegen »den Westen«, der die Feinde der Türkei schütze und dem Land seine Größe und Erfolge nicht gönne.

So weist er auch die Verantwortung für seine Misserfolge in den vergangenen Jahren von sich. Die türkische Regierung fordert von den USA und verschiedenen EU-Staaten die Auslieferung politischer Gegner. Neben Gülen gelten ihr auch Journalisten wie der in Deutschland lebende Can Dündar als Terrorunterstützer. Je mehr die Bevölkerung unter der ökonomischen Krise leidet, desto konfuser und aggressiver werden die Verschwörungstheorien. Der 15. Juli ist nicht nur ein staatlicher Feiertag, sondern dient auch der Propaganda – die allerdings die Widersprüchliche kaum mehr kaschieren kann.

Größenwahn aus Verunsicherung

Während ein Großteil der Opposition der Terrorunterstützung bezichtigt wird, benutzt Erdoğan für die angeblichen ausländischen Intrigen gegen die Türkei gern den Begriff des »Wirtschaftsterrorismus«. Dieser sei für den Verfall der türkischen Lira, die steigende Arbeitslosigkeit und die hohe staatliche und privatwirtschaftliche Verschuldung verantwortlich. Die von regierungsnahen Kartellen kontrollierten Medien verbreiten diese Anschuldigungen unhinterfragt.

Der Politikwissenschaftler Burak Bilgehan Özpek sagte vergangene Woche in einem Podcast für Ahval, dass Erdoğan den ständigen Ausnahmezustand brauche, um an der Macht zu bleiben. Der ehemalige Wirtschaftsminister Ali Babacan hat bereits die AKP verlassen und plant die Gründung einer eigenen Partei, die vor allem der außenpolitischen Isolation und der desaströsen Wirtschaftspolitik entgegentreten soll. Erdoğan reagierte darauf mit dem Vorwurf, Babacan versuche, die Ummah, die Gemeinschaft aller Muslime, zu spalten. Den Begriff Ummah in einer politischen Debatte auf diese Art zu benutzen, ist absurd, denn die Türkei ist nur eines von vielen islamischen Ländern und Erdoğan ist einzig und allein politisches und nicht geistliches Oberhaupt des Landes. Die sich immer öfter zeigenden Anwandlungen von Größenwahn sind Özpek zufolge Ausdruck der Ratlosigkeit und tiefen Verunsicherung der türkischen Regierungsspitze.

Babacan gehört zu denjenigen, die vor fast 20 Jahren die AKP nach der Abspaltung von der Wohlfahrtspartei Necmettin Erbakans gegründet hatten. Erdoğan, ein politischer Ziehsohn ­Erbakans, wurde damals vor allem deshalb zum Anführer dieser Erneuerungsbewegung, weil er als äußerst ­erfolgreicher und beliebter Oberbürgermeister von Istanbul 1999 seines Amtes enthoben worden war und als Volksverhetzer eine Gefängnisstrafe verbüßen musste, weil er ein Gedicht ­zitiert hatte. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Trotz Annullierung der ersten Oberbürgermeisterwahl Ende März in Istanbul gewann nach 25 Jahren islamisch-konservativer Herrschaft der Kandidat der Opposition den zweiten Wahlgang Anfang Juli deutlich. Selbst einige AKP-Wähler empfanden die ständigen Einmischungen des Präsidenten in den Wahlkampf als unangebracht und gingen entweder nicht wählen oder zogen den Oppositionskandidaten vor.

Isoliert wie nie zuvor

Von innenpolitischen Problemen mit außenpolitischen Offensiven abzulenken, ist eine gängige politische Taktik. Die Außenpolitik der Türkei hat jedoch so viele Probleme angehäuft, dass dies kaum als Ausweg dienen kann. Das EU-Mitglied Zypern sieht in den türkischen Probebohrungen vor der Küste der geteilten Mittelmeerinsel einen Verstoß gegen internationales Recht. Auch die EU wertet sie als illegal. Der türkischen Regierung zufolge hat die international nur von der Türkei anerkannte Republik Nordzypern ein Recht auf Beteiligung an der Nutzung der Erdgasreserven. Die Türkei unterstützt die Pläne der nordzyprischen Regierung, ein Friedensabkommen auf der Insel durchzusetzen, was seit Jahrzehnten nicht gelungen ist. Ein solches Abkommen ist weiterhin nicht in Sicht. Nach dem EU-Beitritt ist die Mehrheit der zyprischen Bevölkerung im Süden nicht mehr so interessiert an einer Wiedervereinigung der beiden Inselteile. Im schon lange schwelenden Streit um die Förderung der Gasreserven im östlichen Mittelmeer versucht die türkische Regierung nun eine Einigung zu forcieren. Nur gibt es keine internationale Unterstützung für die türkische Politik.

Die Türkei könnte die EU unter Druck setzen, indem sie die Weiterreise von Flüchtlingen nach Europa wieder gestattet. Doch die Flüchtlingspolitik ist mit dem zweiten außenpolitischen Konfliktthema verbunden, der Syrien-Politik. Länder wie Jordanien, in die ebenfalls viele syrische Flüchtlinge kommen, beschuldigen die Türkei, Mitverursacher des Problems zu sein, da das Land jihadistische Konfliktparteien unterstütze. Trotz diverser Konflikte, unter anderem über die Syrien-Politik, haben die USA bislang einen Bruch vermieden, da sie die Türkei als strategisch wichtigen Verbündeten erachten. Die Interventionen im Nordirak und Nordsyrien werden von der türkischen Regierung stets mit Aggressionen von Seiten der türkisch-kurdischen PKK und der syrisch-kurdischen YPG begründet. Letztere sind Bündnispartner der USA im Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS). Am Samstag berichtete Ahval, dass die USA türkische Truppenbewegungen an der syrischen Grenze per Drohne überwacht und die ­Informationen mit den YPG und den Syrian Democratic Forces (SDF) geteilt haben sollen, da sie einen türkischen Angriff auf die YPG befürchteten.

Die derzeitige Krise und die türkische Drohung, den USA den Luftwaffenstützpunkt İncirlik im Südosten der Türkei nicht mehr zur Verfügung zu stellen, gesellen sich zum Ausschluss aus einem zentralen Militärprojekt der Nato. Die Türkei scheint isoliert wie nie.