Sozialer Wohnungsbau

Es geht auch ohne Wohnungsnot

Seite 4 – »So wollen wir wohnen«
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Aber die Ausstellung zeigt noch etwas viel Wichtigeres: dass nämlich die gängige Gegenüberstellung von Betonkonzern und Bürgergesellschaft schlicht nicht den Tatsachen entspricht. Die wachsende gesellschaftliche Kritik, die auch in den einflussreichen konzerneigenen Neue Heimat Monatsheften zu Wort kam, führte bereits in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zu konzeptioneller Abkehr von den »Entlastungsstädten« beziehungsweise deren Nachbesserung durch urbane Infrastruktur, Parks und die ersten shopping malls in Deutschland.

Elbe-Einkaufszentrum in Hamburg-Altona, 1966

Bild:
Hamburger Architekturarchiv

Diese ­Abkehr war ernst gemeint: Die Neue Heimat zog bei der Entwicklung der Großsiedlungen in München-Neuperlach (ab 1967 gebaut) und Heidelberg-Emmertsgrund (ab 1970) beispielsweise Alexander Mitscherlich als Berater hinzu – ja, den Mitscherlich, der 1965 die programmatische Streitschrift »Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Eine Anstiftung zum Unfrieden« veröffentlicht hatte, um die »uniformierte Monotonie des Wohnblocks« anzuklagen. Man konnte den Einfluss des Psychoanalytikers durchaus bemerken, auch wenn dies 1971 konsequenterweise seine Mit­arbeit beendete, als der Konzern aus Rentabilitätsgründen in Heidelberg die Bebauungsdichte erhöhte und die Hochhäuser um ein Geschoss er­weiterte.

Es gab zudem Möglichkeiten, von denen man heute nur noch träumen kann. So existierten Modellversuche, bei denen die Mieter – wohlgemerkt: nicht die Käufer – den Grundriss ­ihrer Wohnung auswählen, ja sie sogar entwerfen konnten. Die Neue Heimat hatte Anfang der siebziger Jahre ein spezielles Montagebau­system namens »Elementa 72« entwickelt, das ein relativ freies Setzen der Wände ermöglichte; für die Siedlung Hamburg-Mümmelmannsberg wurde sogar ein Bürgerwettbewerb im Hamburger Abendblatt unter dem Motto »So wollen wir wohnen« ausgeschrieben, den ein von einer Mieterin entworfener achteckiger Wohnungsgrundriss gewann, der sogar tatsächlich gebaut wurde.

Dennoch waren viele dieser Siedlungen bisweilen alles andere als Idyllen. Die großen Freiflächen und langen Sichtachsen ließen Vandalismus und antisoziales Verhalten und deren Folgen, die es in den traditionellen Armenvierteln der Städte zuvor auch schon gegeben hatte (in vermutlich höherem Maß, allerdings meist unbeachtet), deutlicher hervortreten und zum öffentlichen ­Debattenthema werden.