Lahme Literaten, Folge 19

Die Poesie des Teebeutels

Seite 2 – »Aber der Beutel, der Beutel«
Kolumne Von

Weil er allem Traditionalismus abhold war, schrieb er alle Wörter klein. Und weil er gleich Rilke die zwischen Frage und Ausruf hängegengebliebene Deklamation schätzte, beendete er die Vignette mit den Worten: »wer konnte, wollte / quitten begreifen, / ihr gelee, in bauchigen gläsern für die / dunklen tage in den regalen aufge- / reiht, in einem keller von tagen, wo sie leuchteten, leuchteten«. Womit er gleich noch Mörike untergebracht hatte.

»Aber der Beutel, der Beutel«, rief Jan aus und fuhr sich durchs Haar. »Der Beutel braucht doch seinen Platz! Gewähre ich ihm ein Gedicht? Oder nur einen Satz?« Weil sich das reimte, freute er sich kurz. Doch Oma Edith hub sogleich mit ihrer alten Klage an: »Tante Ellie weiß gar nicht, wie du mal auf eigenen Füßen stehen willst mit deinem Herumgedichte. Du kannst doch nicht den ganzen Tag wie ein Eremit in deiner Höhle hocken.« »Der Eremit in der Höhle«, sprach Jan, »das ist es! Nur bin ich es nicht, Edith, der Eremit ist der Beutel. Ich dagegen neige zum Humoristischen.« Und er schrieb ins schwarze Buch: »nur in sackleinen / gehüllt. kleiner eremit / in seiner höhle. / nichts als ein faden / führt nach oben. wir geben / ihm fünf minuten.«

Edith sagte missbilligend: »Was soll denn die Höhle von dem Beutel sein? Die Tasse? Das ist aber kein gutes Bild. So wird das nie was mit dir. Ich geb’ dir fünf Minuten, um das Geschirr abzuspülen. Danach hilfst du mir beim Teppichklopfen!« Jan gehorchte, weil er die Frauen und die Alten stets in Ehre hielt. Als er neun Jahre später den Mörike-Preis der Stadt Fellbach entgegennahm, hat er Edith in seiner Dankes­rede namentlich erwähnt und sich mit den Worten »Ein Gedicht stellt andere Fragen als ein Leitartikel« zur Autonomie des Ästhetischen bekannt. Und seit er 2017 den Georg-Büchner-Preis erhalten hat, macht sich Tante Ellie keine Sorgen mehr um Jans Zukunft.