Werte-Union

Deutschland bricht auf

Law and Order, Deutschtümelei und das christliche Abendland: Die CDU sucht ihren Markenkern.

Es ist ein geradezu apokalyptisches Szenario, das Alexander Mitsch, der Vorsitzende der rechtsnationalen Werte-Union, beschreibt: Im Herbst 2015 habe die Bundesrepublik am Abgrund gestanden. Am 4. September sei die »Wunde«, die dem Land durch Abschaffung der Wehrpflicht, Energiewende, Euro-Rettung, Gender Mainstreaming und Political Correctness »schon seit Jahren hinzugefügt wurde«, schließlich aufgerissen, der »GAU« nicht mehr aufzuhalten gewesen.

Monatelang seien »Massen an unregistrierten Einwanderern nach Deutschland« geströmt und hätten Identität, Frieden, Freiheit und Wohlstand im »Europa der Vaterländer« gefährdet. Doch in der Bevölkerung habe sich »nach und nach ein breiter werdender Widerstand« gezeigt, »der den Zustand der Politik- und Staatsverweigerung nicht länger« habe hinnehmen wollen.

Innerhalb von CDU und CSU gründete sich im März 2017 der »Freiheitlich-konservative Aufbruch« als Zusammenschluss von konservativen und rechtslibertären Kräften, der sich wenig später in Werte-Union umbenannte und die Unionsparteien wieder zu ihrem »Markenkern« zurückführen will: restriktive Einwanderungspolitik, Leitkultur, Patriotismus, Heimattümelei, Law and Order und das christliche Abendland.

Seit kurzem wird aus diesem Milieu die Zeitschrift Taxis herausgegeben, Untertitel: »Schrift für Politik und Philosophie«. Sie versteht sich als »Debattenmagazin« und »diskursiver Salon« für den christdemokratischen Konservatismus. Taxis, das altgriechische Wort für Ordnung, ist das Leitmotiv des halbjährlich erscheinenden Heftes. Und weil seine Macher die soziale Ordnung durch einen anhaltenden »Linkstrend« bedroht sehen, suchen sie nach »Normen, Institutionen und Identitäten«, auf die sich die Gesellschaft autoritär verpflichten lässt. Die erste Ausgabe, die unter der Leitfrage »Was ist konservativ?« steht, will darauf eine Antwort geben.

Der Feind steht links

Das eingangs skizzierte Szenario stammt aus dem einleitenden Plädoyer »Eine konservative Union ist möglich«. Mitsch verortet darin den Konservatismus »jenseits linker Utopie und neurechter Dystopie« in der »bürgerlichen Mitte der Bevölkerung«. In rechtspopulistische Gefilde abgedriftete Wählergruppen will die Werte-Union in die »integrierende Heimat« des Konservatismus zurückholen, ohne die bürgerliche Kernwählerschaft zu verprellen. Darum gibt sie sich zugleich liberal aufgeklärt und konservativ traditionalistisch, ohne den fundamentalen Widerspruch zwischen beiden Haltungen auszutragen.

Dass der Feind vor allem links steht, sprechen neben Mitsch auch die anderen Autoren und Interviewpartner unumwunden aus. Demnach sei dieser Feind derart mächtig und skrupellos, dass konservative Kräfte dazu gezwungen seien, unlautere Mittel anzuwenden. »In einem Ring voller Schmutzfinken bleibt es indes eine Unmöglichkeit, sauber zu bleiben«, dekretiert der Herausgeber Felix Schönherr in einem Blogbeitrag auf der Website von Taxis und empfiehlt einen »disruptiven Ansatz«, wie ihn die Republikanische Partei in den USA unter Präsident Donald Trump verfolge.

Gegnern wie der Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg, dem Youtuber Rezo und dem Philosophen Jürgen Habermas lasse sich nicht im herrschaftsfreien Diskurs, sondern nur im »vorpolitischen Resonanzraum« erfolgreich begegnen, »der für die Mobilisierung in eigener Sache unverzichtbar ist«. Die Neue Rechte, aus deren strategischen Schriften auffällig oft zitiert wird, bezeichnet diesen Ansatz als Metapolitik.

Konservatismus und Populismus

Wie eine erfolgreiche Metapolitik aussehen könnte, beschreibt der Historiker Andreas Rödder im Interview mit Taxis: »Wie wäre es zum Beispiel mit ›Family Mainstreaming‹? Man nehme die Idee von ›Gender Mainstreaming‹, also die Beseitigung struktureller und systemischer Benachteiligung aufgrund von Geschlecht als Querschnittsaufgabe. Dann ersetze man Geschlecht durch eine andere zentrale Kategorie sozialer Ungleichheit, nämlich Familie. Und dann mache man daraus einen modernen, konservativen familienpolitischen Ansatz.«

Sätze wie diese zeigen deutlich, dass die Selbstdarstellung als »diskursiver Salon« Makulatur bleibt. Erklärtes Ziel der Werte-Union ist der Aufbau einer »konservativen Sammlungsbewegung«, die das gesellschaftliche Werteraster verschieben soll.»Es bedarf einer langfristigen, kontinuierlichen Aufbaustrategie für das vorpolitische Umfeld«, schreibt Schönherr. Er sieht das konservative Lager zwischen zwei »Stilrichtungen politischer Kommunikation« eingeklemmt, deren Vertreter er als bieder-etablierte »Pop-Konservative« und rebellisch-enthemmte »Punk-Konservative« bezeichnet. »Ohne beide Marschrichtungen gleichzeitig zu bedienen, ist mit einem politischen Erfolg nicht zu rechnen.«

Die Frage »Noch konservativ – oder schon rechtspopulistisch?«, die Schönherr in seinem Blogbeitrag stellt, wird nicht inhaltlich, sondern ausschließlich taktisch beantwortet. Die Ausrichtung hängt von der Zielgruppe ab: konservativ-bürgerlich für die etablierten Kernmilieus, rechtspopulistisch für die wütenden »Punk-Konservativen«.

Alle rechten Fraktionen werden bedient

Das Label »liberal«, das einige Autoren im Heft noch bemühen, erfüllt eine rhetorische Funktion und wird ideologisch durch die ständige Besinnung auf Hierarchie, Ungleichheit und ein reaktionäres Menschenbild konterkariert. »Die Gemeinschaft steht über dem Einzelnen. Die Rechte der Menschen leiten sich aus ihren Pflichten her ab. Das Böse ist in der menschlichen Natur angelegt, nicht in bestimmten sozialen Einrichtungen«, schreibt Norman Gutschow von der neurechten »Bibliothek des Konservatismus« in einem Grundlagenbeitrag.

Das Heft ist vom neurechten Idiom geprägt und bedient alle Fraktionen des rechten Mosaiks. Im Impressum heißt es »E-Post« und »Netzblatt«. Für das Umfeld der Jungen Freiheit werden deren Chefredakteur Dieter Stein und deren Kolumnist Karlheinz Weißmann zitiert, für Götz Kubitscheks Politsekte aus Schnellroda gibt es Verweise auf die Zeitschrift Sezession und die »Konservative Revolution«.

Rechtslibertäre werden mit einem klaren Bekenntnis zum Neoliberalismus abgeholt, während sich »Liberalkonservative« durch das Herbeizitieren von Edmund Burke, Hermann Lübbe und Robert Spaemann angesprochen fühlen können. Dem neubürgerlichen Cicero-Milieu redet Andreas Rödder ins Gewissen. Der umstrittene Politologe Werner J. Patzelt sammelt den rechten Rand von CDU und CSU. Autoritäre Etatisten kommen schließlich mit Arnold Gehlen und Thilo Sarrazin auf ihre Kosten. Ob das Kalkül, neurechte Milieus zur Herrschaftssicherung zu instrumentalisieren, aufgeht und das Projekt innerhalb der Union tatsächlich auf größere Resonanz stößt, ist offen.