Landtagswahl in Sachsen

Sächsische Verhältnisse

Die AfD träumt in Sachsen davon, den »Volkswillen« zu vollstrecken und die BRD abzuwickeln. Bei den Wählern kommt das gut an. Dabei spielen auch ostdeutsche Befindlichkeiten eine Rolle.

Sollte die AfD nach den Landtagswahlen in Sachsen regieren, könnte das dramatische Folgen haben. Sie bietet sich nicht nur dort als Vollstreckerin der Befindlichkeiten »des Volks« an – eines »Volksempfindens, das im gesunden Menschenverstand gründet«, wie es der thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke angelehnt an die nationalsozialistische Diktion vom »gesunden Volksempfinden« einmal formulierte. Vorbei an vermittelnden Instanzen, an Bürokratie, Gerichten, Parlamenten und Wissenschaft will die Partei ihre Politik betreiben.

Das legen unter anderem Äußerungen des Spitzenkandidaten der AfD in Sachsen, Jörg Urban, nahe. Er zählt zum völkischen »Flügel« um Björn Höcke. Eine im August 2018 vom AfD-Kreisverband Chemnitz auf Facebook geteilte Aussage macht deutlich, was Urban mit den bestehenden demokratischen ­Institutionen vorhat: »Auch das derzeitige Regime werden wir mit Hilfe der vernünftig denkenden Menschen zum Einsturz bringen!«

Auf welches vor­herige Regime er anspielt, zeigt ein weiterer Satz: »In Sachsen begann bereits 1989 die friedliche Revolution, die ein verrottetes Regime zum Einsturz brachte. Es sieht derzeit ganz so aus, als wäre Geschichte mit einer starken Volkspartei AfD wiederholbar.«

Solche autoritären Träume vom großen Aufräumen kommen an. 24 Prozent der Befragten gaben in jüngsten Umfragen an, die AfD wählen zu wollen. Damit ist die Partei dicht dran an der CDU, sie könnte sogar die stärkste Kraft bei den Landtagswahlen ­­werden.

Warnstreikende mit Eiern beworfen

Allerdings ist es mit den sächsischen Befindlichkeiten so eine Sache. Mag man in dem Bundesland auch noch so gern darüber schimpfen, »von denen im Westen« übers Ohr gehauen worden zu sein – seit 1990 wählten die sächsischen Bürgerinnen und Bürger so, dass es stets eine CDU-Regierung gab. Sie wählten also diejenigen, die die DDR schnell abwickeln wollten und »nie wieder Sozialismus« versprachen.

Das ist eine Tatsache, die auch den­jenigen Linken nicht schmeckt, die den ostdeutschen Opferstatus gerne politisch nutzen würden – so zum Beispiel die Gruppe »Aufbruch Ost« aus Leipzig. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, die »ostdeutsche Seele« zu streicheln, und eine mehr therapeutische als politische Strategie entwickelt: drüber ­reden – oral history. Sie kritisiert, dass sich die außerparlamentarische Linke nicht ausreichend um die sozialen Zumutungen in den neunziger und nuller Jahren gekümmert habe, nicht im Osten und nicht im Westen.

Doch es lohnt sich ein genauerer Blick: Bis weit in die nuller Jahre waren große Arbeitskämpfe, abgesehen von den ersten Jahren nach der Wende, in Sachsen beinahe undenkbar. Warnstreikende wurden beschimpft, mit Eiern und faulem Obst beworfen; viele waren der Ansicht, wer Arbeit habe, solle nicht so unverschämt sein, noch mehr Geld zu verlangen. Wer keine Arbeit hatte, dem wurde zu verstehen gegeben, er solle froh sein, sich als Ein-Euro-Jobber nützlich machen zu dürfen.

Billiglohnland Sachsen

Nur 15 Prozent der sächsischen ­Betriebe sind heutzutage noch an einen Tarifvertrag gebunden, 20 Prozent sind es in den übrigen ostdeutschen Bundesländern und 29 Prozent in Westdeutschland. Die Tarifbindung ist einer Studie des Wirtschafts- und Sozial­wissenschaftlichen Instituts (WSI) zufolge vor allem deshalb derart ­niedrig, weil die CDU-Regierungen Sachsen zu einem Billiglohnland gemacht haben.

Die Gruppe »Aufbruch Ost«, die sich als antirassistisch versteht, sucht eine spezifisch ostdeutsche Antwort auf all diese Entwicklungen. Sie möchte die Lebensleistungen besonders der progressiven Kräften von 1989 gewürdigt sehen. Die Gruppe fragt: »Woran können wir anknüpfen als ostdeutsche ­Gesellschaft von heute?« Und sie fordert: »Wir müssen die Wütenden und Frustrierten hören, ihnen eine Stimme geben.«

Lange war es die PDS beziehungsweise die Linkspartei, die den Anspruch hatte, frustrierte Ostdeutsche zu vertreten. Mittlerweile versuchen es fast alle Parteien. Neben der AfD, die den Ton besonders gut trifft, tut sich auch die SPD hervor. Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) tourt seit 2017 durch Sachsen, um Menschen, denen sie sonst bei ausländerfeindlichen Protesten oder Pegida ­begegnen könnte, zuzuhören und sich für sie einzusetzen.

Befindlichkeiten und Identitätspolitik

Doch auch wenn es um soziale und materielle Belange der Ostdeutschen ginge, wäre diese Form der Identitätspolitik falsch. Jemandem eine Stimme zu verleihen, ist keine Antwort auf ­soziale Fragen, Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Die Spaltung zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen zu pflegen, spielt lediglich den Rechts­populisten in die Hände, die viel glaubwürdiger versprechen können, den »Volks­willen« zu vertreten – der mit den sozialen Interessen nämlich nichts zu tun hat.

Für diese könnte sich die Linkspartei einsetzen, wenn sie sich weniger um Befindlichkeiten und Identitätspolitik kümmern würde. Sie liegt in Umfragen bei 16 Prozent, zeigt aber kaum Interesse an der Regierungsverantwortung.

»Wir haben eine klare Haltung, mit der allerdings – das muss man einräumen – derzeit in Teilen der Gesellschaft kein Blumentopf zu gewinnen ist«, sagte der Spitzenkandidat der Linkspartei, Rico Gebhardt, in der ­vergangenen Woche dem Neuen Deutschland.