Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske tritt ab

Deeskalieren mit dem Stinkefinger

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Die Wahl eines Grünen zum Vorsitzenden der zweitgrößten Gewerkschaft des DGB im November 2000 war ein Novum. Trotz der Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten seit 1998 und einer kleinen Annäherung an den DGB galt die Partei vielen Gewerkschaftern als Arbeitsplatzvernichterin und Standortgefährderin. Bsirske übernahm die Leitung zudem in einer schwierigen Phase. Die Fusion der ÖTV mit der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV), der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) und der Industriegewerkschaft (IG) Medien zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) war aus der Not geboren. Unterschiedliche Organisationsformen prallten aufeinander; die DAG war zuvor nicht einmal Mitglied des DGB gewesen. Während die kleineren Gewerkschaften befürchteten, von der weitaus größeren ÖTV dominiert zu werden, zeigten sich deren Mitglieder skeptisch gegenüber der neuen Organisationsform. Dennoch gelang es Bsir­ske, die erforderliche Mehrheit für eine Auflösung der ÖTV und die Gründung von Verdi zu gewinnen. Am 20. März 2001 wurde er zum Vorsitzenden der neu gegründeten Gewerkschaft gewählt.

Bei ihr handelte es sich um einen ­Zusammenschluss geschwächter Orga­ni­sationen. Arbeitslosigkeit, Deregu­lierung und der Abbau sozialstaatlicher Strukturen hatten die neunziger Jahre geprägt. Die Privatisierungswelle, die Ausweitung des Niedriglohnsektors, das sogenannte Kaufhaussterben und der Wandel in der Speditions- und Logistikbranche hatten vor allem die Gewerkschaften getroffen, die sich als Verdi zusammenschlossen; die Zahl der in ihnen organisierten Beschäftigten war in diesen Jahren geschrumpft – mit verheerenden Auswirkungen auf die gewerkschaftliche Durchsetzungskraft und die Streikfähigkeit. Nicht zuletzt finanzielle Probleme hatten einige der Gewerkschaften zur Fusion gezwungen.

Bsirskes Aufgabe war es zunächst, Organisationen mit ganz unterschiedlichen Interessen zur Zusammenarbeit zu bewegen. Gewerkschaftsgliederungen mit einer langen Tradition in der Friedensbewegung standen Beschäftigten der Bundeswehr gegenüber, Atomkraftgegner den Beschäftigten in der Atombranche, Erwerbslose, die in Verdi eine eigene Personengruppe bilden, den Mitarbeitern in Arbeitsagenturen und Jobcentern. Zudem fielen mit der Fusion eine Vielzahl unterschiedlicher Tarifbereiche und mehr als 1 000 verschiedene Berufe von Krankenpflegern über Bankangestellte und Journalisten bis hin zu Hochschulprofessoren in den Zuständigkeitsbereich der Dienstleistungsgewerkschaft.

Bsirske hat eine seiner wichtigsten Aufgaben erfüllt: Es ist ihm gelungen, »den Laden« zusammenzuhalten. Doch die Bilanz seines beinahe 20jährigen Vorsitzes fällt ambivalent aus. Von der vielbeschworenen »Vielfalt in der Einheit« und damit von einer schlagkräftigen Organisierung und Koordination über die verschiedenen Dienstleistungsbranchen hinweg ist Verdi immer noch weit entfernt. Ständige Umstrukturierungen und Debatten über interne Entscheidungs- und Organisationsabläufe lähmen die Großgewerkschaft. Zudem konnte auch die Fusion den Mitgliederverlust im Dienstleistungssektor nicht aufhalten. Waren zum Zeitpunkt der Gründung noch fast drei Millionen Beschäftigte bei Verdi organisiert, sind es mittlerweile nur noch zwei Millionen.