Das deutsche Bürgertum und die AfD

Die rohen Seiten der Bourgeoisie

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Nicht nur aus taktischen Gründen beansprucht der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland deshalb den Begriff »bürgerlich« auch für seine Partei. »Bürgerlich sein heißt, seinen Unterhalt selbst zu verdienen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen«, schrieb er vorige Woche in einem Gastbeitrag in der Welt.

Gegründet wurde die AfD in einem erz­bürgerlichen Milieu, die Partei konnte schon früh neben Nichtwählern vor allem enttäuschte Liberale und Christdemokraten für sich gewinnen. Unter den Abgeordneten der AfD im Bundestag und in den Landtagen üben so viele selbständige Berufen aus, dass selbst die Union neidisch werden könnte. Die Empörung über die Abtretung politischer Entscheidungskom­petenzen an die EU teilen die Funktionäre der AfD mit »Eurokritikern« vor allem in der CSU und FDP. Die Führung der AfD rekrutiert sich aus Leuten, die sich nur wenig vom ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, unterscheiden. »Ich bin vor 30 Jahren nicht der CDU beigetreten, damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen«, sagte Maaßen im Sommer vor einem Ortsverband der Union. Alexander Gauland, einst Gründer des »Berliner Kreises« der CDU, hat längst die Konsequenz gezogen.

Den bürgerlichen Charakter der AfD wollen diejenigen nicht sehen, die in Abgrenzung von der Partei Bürgerlichkeit für sich beanspruchen. Dass aber das deutsche Bürgertum historisch alles andere als ein Hort der Demokratie und beispielsweise auch die »Westbindung« nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst umkämpft war, gerät dabei in Vergessenheit.

Wer unter »Bürgerlichkeit« in erster Linie einen Benimmkanon, einen Habitus oder eine Frage der Garderobe versteht, kommt wie die Neue Zürcher Zeitung vor allem zu dem Befund, dass die »Kommunikation der AfD« an eine »vollgeschmierte Klowand« erinnere. Was nicht völlig falsch ist: Alexander Gauland mag ein beflissener Liebhaber des feinen englischen Konservatismus sein, seine Rede vom Nationalsozialismus als »Vogelschiss« in der 1 000jährigen deutschen Geschichte übertönte aber sogar den völkischen Lautsprecher Björn Höcke. Die Parteiversammlungen der AfD haben wenig mit dem gepflegten Stil von Debattierclubs gemeinsam.