Gespräch mit Ayad Al-Ani über die Arbeitskämpfe von Crowdworkern und die Flexibilität des digitalen Kapitalismus

»Die Gewerkschaften müssen kooperieren«

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Interview Von

Sind Crowdworker für die Firmen billige Innovateure?
Das traditionelle Unternehmen versucht verzweifelt an günstige Innovationskräfte heranzukommen, weil die traditionelle Top-down-Hierarchie zwar eine effiziente Produktion steuern kann, aber nicht gut darin ist, erratische und zufallsgesteuerte Innovationsprozesse loszutreten. Das ist eine Achillesferse der traditionellen Hierarchie. Vor knapp zehn Jahren erschien ein Artikel vom Silicon-Valley-Investor Peter Thiel, in dem er ungewohnte Töne anschlug: Vielleicht sind wir nicht so innovativ, wie wir denken. Von den Zielen, die die Menschen in den sechziger und siebziger Jahren hatten, ist nicht viel übriggeblieben. Damals glaubte man, man könnte Krebserkrankungen bald besiegen. Die Innovationsraten der grünen Revolution waren damals höher als das, was wir heute im Agrarsektor erleben. Man ist zum Mond geflogen. Man baute unglaub­liche Städte wie Brasilia. In dieser Situation – der Soziologe Immanuel Wallerstein meinte sogar, dass der Kapitalismus langsam für den Kapitalisten uninteressant wurde – kam P2P als ­Innovationsquelle wie gerufen und der Sektor musste nur überzeugt werden, mitzumachen.

Was bedeutet die Plattformökonomie und die Integration von P2P-Konzepten für die Arbeitswelt?
Diese P2P-Bewegung war eine Fluchtbewegung. Sie hat nicht das System in Frage gestellt, sondern wollte mit ihren von der kapitalistischen Hierarchie ungenutzten Talenten und Ideen Dinge machen, die sie wollte. Es entsteht eine meritokratische Produktionsgemeinschaft. Credentials zählen nicht mehr. Das Einzige, was zählt, sind die Beiträge, die ich für eine Plattform ­geleistet habe. Dieser Beitrag wird von meinen Peers evaluiert. Wenn ich gut bin, steige ich auf, wenn ich nicht gut bin, werden die mich zwar nicht rausschmeißen, aber ich werde obsolet. Gerade dieser meritokratische Ansatz ist für den Kapitalismus so verlockend und war ein guter Anknüpfungspunkt, der die Vereinnahmung leichter machte.

Wie können Gewerkschaften sinnvoll aktiv werden, wenn die Macht der Arbeiter auf diesen Plattformen vor allem auf ihren Ideen und ihrer Kreativität basiert?
Widerstand war nie Teil des Ganzen. Der Crowdworker ist in einer bittersüßen Situation. Die Abhängigkeit von der Plattform wird registriert. Gleichzeitig suggeriert diese ja: Du bist ein eigenständig agierender Mitarbeiter. Du bist agil und kreativ. Du hast das Heft in der Hand.
In Berlin gab es mal ein Werbeplakat: »Du feierst dich als Teil der Berliner Kreativszene. Sie Dich als günstige Arbeitskraft.« Das ist es genau. Gleichzeitig sind Gewerkschaften ja traditionelle Hierarchien und tun sich mit diesen Arbeitnehmern schwer, noch dazu, weil diese Crowdworking zumeist als Zuverdienst sehen, als Möglichkeit, zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, aber nicht als alleinige Lohnquelle.