Was passiert, wenn sich der Verkehr wie ein soziales Netzwerk organisiert

Teilen statt besitzen

Sharing-Dienste sind Teil der digitalen Wirtschaftsordnung, die auf sogenannten Plattformen basiert. Mobilität und Verkehr gehören zu den wichtigsten Geschäftsfeldern des appbasierten Kapitalismus.
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Wer braucht schon Autos? Wenn es nach Amazon ginge, könnte zumindest der private Besitz von Fahrzeugen küftig unnötig werden. Im vergangenen Jahr verkündete das Unternehmen aus Kalifornien seine entsprechende Zukunftsvision – schätzungsweise eine Milliarde Fahrzeuge befinden sich derzeit in Privatbesitz. Der Geschäftsführer des Ride­sharing-Anbieters Uber, Dara Khosrowshahi, sagte dem Fernsehsender CNN: »Hoffentlich besitzen Sie dann kein Auto mehr. Manche werden vielleicht noch ein Auto besitzen, so wie andere ein Pferd. Sie wissen schon, um am Wochenende ein bisschen damit herumzufahren.« Sein Konzept preist er als flexible Transportlösung an: »Sie werden in der Regel zu uns kommen, und wir stellen Sie vor die Wahl, ob Sie einen regulären Uber nehmen oder ob Sie mit jemandem eine Fahrt teilen möchten. Aber wir werden Ihnen auch zeigen, dass dort drüben eine Bushaltestelle ist und dass der Bus in sechs Minuten kommt.«

In vielen informationszentrierten Branchen enstehen Plattformen, die auf der Extraktion von Daten beruhende Geschäfts­modelle etablieren.

Uber operiert in 60 Ländern weltweit und verfolgt eine für den sogenannten Plattformkapitalismus übliche Strategie: Mit einer schier unerschöpflichen Menge an Risikokapital erobert das Unternehmen den Markt, verdrängt jegliche Konkurrenz und versucht im Nachhinein die Verluste wieder einzufahren. Uber will zum »Amazon der Mobilität werden«, so Khosrowshahi, das heißt den gesamten Markt der privaten Fahrten beherrschen. Das umfasst nicht nur Taxifahrten und Ridesharing, sondern auch Fahrten mit öffent­lichen Verkehrsmitteln. Uber ist bereits im Bereich der Vermietung von E-Bikes und Scootern, der Lieferung von Lebensmitteln und der Frachtbuchung tätig.

Über die App sollen in Kürze auch Fahrkarten für den öffentlichen ­Nahverkehr und Mietwagen angeboten werden. Darüber hinaus plant Uber, zu einem Marktplatz für andere Transportanbieter zu werden, genau wie Amazon heutzutage ein Marktplatz für Drittanbieter ist. Ziel von Uber ist es, Verkehrsmonopolist zu werden, dabei aber nicht den Betrieb zu übernehmen, sondern die Logistik, die dahintersteht: Kundenprofile, Fahrpläne, Reiseplanungen und Buchungen zentral zu organisieren – die Autohersteller werden zu Hardware-Lieferanten, die Fahrer zu vereinzelten und rechtlosen Arbeitnehmern, die auf einen Zuschlag durch den Matching-Algorithmus hoffen, die Kunden zu Datenlieferanten, die der Preis- und Zuschlagspolitik des Konzerns ausgeliefert sind. Die sogenannten großen vier (Google, Amazon, Facebook und Apple) können bereits heute wegen ihrer Marktmacht immer mehr der Regeln des Wettbewerbs außer Kraft setzten.

In vielen informationszentrierten Branchen entstanden diese Plattformen, die auf der Extraktion von Daten beruhende Geschäftsmodelle etablieren: Webdienste, Social Media, Online-Handel, ihre Nutzerzahlen gehen in die Milliarden. Die hohe Marktkapitalisierung dieser Unternehmen spiegelt dabei den Wert ihrer Daten und ihre große Nutzerbasis.

 

Wegen des Netzwerkeffekts erreichen Plattformdienste schnell Monopolstellungen. Oft werden dabei kostenlose Dienste querfinanziert, etwa durch Werbung oder die Auswertung von User-Daten. Nutzerinnen und Nutzer haben dort eine dreifache Funktion: Sie sind einerseits Kunden der Plattform, stellen andererseits eine Datenressource für diese dar und werden schließlich durch das entstehende Profil und Aktivitätsdaten selbst wieder zum Produkt. Deren Aktivität wird als Feedback ins System zurückgespeist und dient zur Optimierung desselben.

Derzeit ist die Etablierung solcher Geschäftsmodelle in vielen weiteren Branchen zu beobachten, von der Landwirtschaft bis hin zum Gesundheitswesen. So auch im Verkehrssektor: Die Digitalkonzerne auf beiden Seiten des Pazifik versuchen, diesen Markt zu erobern, etablierte Hersteller zu verdrängen und gleichzeitig das klassische Modell – Hersteller verkauft Fahrzeug an Endkunden, dem das Auto gehört und der damit herumfährt – durch ein neues zu ersetzen: User benutzen den Service einer Plattform, die Flotten betreibt und verschiedene Verkehrsanbieter bündelt.
IT-Giganten wie Google, Uber und auch der Elektromobilkonzern Tesla versuchen, den Übergang von in Privatbesitz befindlichen, mit Verbrennungsmotor betriebenen, menschlich gelenkten Autos hin zu einem autonomen Netzwerkdienst anzuführen, bei dem Algorithmen und Daten eine Schlüsselrolle spielen. Die Konzerne aus dem Silicon Valley – und das gilt in zunehmenden Maße auch für ihre chinesischen Pendants – zeichnen sich durch Kundennähe, Echtzeitinteraktion mit ihren Kunden und schnelles Ausliefern von Innovationen aus. Die klassischen Autohersteller hinken diesen Unternehmen, was die Geschäftsmodelle angeht, um Jahre hinterher. Die Autopilotfunktion von Tesla etwa konnten sich die Nutzer bereits vor drei Jahren von Teslas Servern herunterladen und freischalten – von einer solchen digitalen Produk­taktualisierung sind die klassischen Hersteller noch weit entfernt.

Am 18. September 2015 brachte die kalifornische Umweltbehörde mit einem Schreiben, einer sogenannten notice of violation, den sogenannten Diesel­skandal ins Rollen. Volkswagen hatte in seinen Diesel-PKW systematisch Betrugssoftware eingesetzt, um zu hohe Emissionswerte im tatsächlichen Betrieb auf dem Prüfstand niedriger erscheinen zu lassen. Ehemalige Manager von VW sind in den USA zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden, und auch in Deutschland wird ermittelt. Der VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn musste zurücktreten. Im Zuge des im September 2015 enthüllten Betrugs bei den Emissionen von Dieselmotoren wurde fast die gesamte Automobilindustrie zum Gegenstand von Ermittlungen, ähnliche Prak­tiken wurden auch bei anderen Herstellern entdeckt. Der damalige Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, beklagte, eine »Anti-Diesel-Lobby unter Führung von Nichtregierungsorganisationen« habe versucht, die Technologie zu diskreditieren.

 

Tatsächlich steckt die Autoindustrie in einer existenzbedrohenden Krise, aber daran sind nicht in erster Linie die Proteste der Umweltbewegung schuld. In drei zentralen Innovationsbereichen ist die Branche technologisch ins Hintertreffen geraten: Das gilt sowohl für elektrische Antriebe und Speichertechnik, die Entwicklung selbstfahrender Systeme und auch die Organisation und den Betrieb von Carsharing-Flotten. Für jedes dieser drei Felder steht mittlerweile ein Unternehmen: Der E-Autohersteller Tesla, die Google-Tochter Waymo und der Fahrtvermittler Uber. In der deutschen Öffentlichkeit wird das Poten­tial dieser Firmen bisher trotz ihrer Marktvorteile unterschätzt: Waymo kennt hierzu­lande kaum jemand. Tesla wird erst ernst genommen, seit das Unternehmen 2018 mit dem »Model 3« seine Produktionsziele tatsächlich erreicht hat und damit zum bis dato einzigen Serienhersteller elektrisch an­getriebener Mittelklassewagen wurde. Und Uber darf bislang in Deutschland seinen wichtigsten Geschäftszweig, das Vermitteln von Fahrten mit Privatfahrzeugen, nicht betreiben.

Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland haben diese Konzerne die Nase vorn: Waymo sammelt seit Ende vorigen Jahres in Phoenix, Arizona, Erfahrungen mit dem ersten autonomen Robo-Taxiservice der Welt, derweil sich Tesla als führender Elektro­autohersteller auf allen wichtigen Märkten konsolidiert hat und Uber an die Börse gegangen ist, wo die Fahrtvermittlungsplattform derzeit fast ebenso hoch wie die Volkswagen AG bewertet ist.
In China, dem größten Markt der Welt, etablieren sich heimische Hersteller und Plattformen, die dem Beispiel ihrer kalifornischen Vorbilder folgen, teilweise noch schneller expandieren als diese und eine noch größere Nutzerbasis anpeilen. Die Hersteller in China sind zudem weltweit führend bei der Produktion von Elektrofahrzeugen und werden über kurz oder lang nicht nur den heimischen Markt bedienen, der derzeit noch der wichtigste Exportmarkt insbesondere der deutschen Hersteller ist.

Gibt es eine Alternative zur plattformkapitalistischen Organisation des Verkehrs? Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, eine der Vorkämpferinnen für eine urbane Verkehrswende, baut auf digitale Konzepte, allerdings als »öffentliche Dienste gemeinsam genutzter Mobilität«, deren Etablierung sie als »strategische Aufgabe der Städte« sieht. Es gibt also sehr wohl Elemente des Plattformkapitalismus, die emanzipatorisch genutzt werden könnten. Verkehrspolitik in Deutschland ist davon denkbar weit entfernt.