In Frankreich wurden drei Nürnberger in fragwürdigen Schnellverfahren zu Haftstrafen verurteilt

Von der Mautstation in den Knast

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Die harten Urteile gegen die drei Nürnberger sind erklärungsbedürftig. Die drei haben offensichtlich nicht an Krawallen teilgenommen; zum einen gab es während des Gipfels keine Krawalle, zum anderen waren die drei bereits in den Tagen vor dem Gipgfel und den geplanten Protesten festgenommen worden. An ihrem Wohnort sind die drei in der antifaschistischen Bewegung aktiv und waren nach Angaben ihrer Familien und Freunde auf dem Weg zum Urlaub ins spanische Baskenland. Andere Mitglieder ihrer circa zehnköpfigen Reisegruppe warteten im Badeort Lekeitio vergeblich auf ihr Eintreffen. 48 Stunden vor ihrer Verurteilung griff die Polizei die drei an einer Autobahnmautstation in der Nähe von Biarritz auf und nahm sie nach der Durchsuchung ihres Fahrzeugs fest. Im Kofferraum wurden, so die ­Polizei, linksradikale Literatur, eine Sturmhaube und eine Sprühdose mit Tränengas gefunden. Letztere wurde in ersten deutschen Presseberichten Ende August als »Gasgranate« bezeichnet, eine Falschübersetzung des im Französischen üblicherweise für Sprühdosen benutzten Wortes bombes.

Obwohl das Gericht in Bayonne die drei vom Vorwurf des Waffenbesitzes freisprach, blieben sie in Haft. Ihre Verurteilung fußt auf einer Bestimmung des französischen Strafgesetzbuchs (code pénal) für Körperverletzungs- und Gewaltdelikte, die durch ein Gesetz vom 2. März 2010 eingefügt wurde. Der Tatbestand lautet »vorsätzliche Teilnahme an einer, selbst auf vorübergehende Weise gebildeten, Gruppe, in der aus ­einer oder mehreren materiellen Tatsachen erkenn­baren Absicht der Vorbereitung vorsätzlicher Gewalthandlungen gegen Personen oder von Sachbeschädigungen oder -zerstörungen«. Darauf steht eine Höchststrafe von einem Jahr Gefägnis und 15 000 Euro Geldbuße. Der Strafrechtsparagraph wurde unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy (2007 bis 2012) eingefügt, um die Protestform des sogenannten Schwarzen Blocks zu bekämpfen.

2008 hatte der französische Staat erstmals die »anarcho-autonome Bewegung« als Feindbild identifiziert. Sogenannte autonome und Schwarze Blöcke bei Demonstrationen spielten bis dahin in Frankreich kaum eine Rolle. Doch seit im November 2008 die soge­nannte Tarnac-Affäre begann, diskutierte man im französischen Innen­ministerium neue Bedrohungsszenarien. In dem schmalen Büchlein »Der kommende Aufstand« hatte ein – offiziell unbekanntes – Autorenkollektiv eine einigermaßen skurrile Revolutionstheorie entworfen (Jungle World 47/2010). Ihr zufolge ist »das System überall«, es weise kein Oben und ­Unten auf, könne jedoch dadurch getroffen werden, dass man die allgegenwärtigen »Netzwerke« angreift. Dabei spielten die Autoren auf eine immer stärker vernetzte Infrastruktur und die wachsende Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien an. Auch das Bahnnetz wurde ­erwähnt.