Die Klimaschutzbewegung wird in die Rituale der internationalen Politik eingebunden

Tödliche Umarmung

Die Auftritte Greta Thunbergs und das Lob der Jugendbewegung für den Klimaschutz sind zum festen Bestandteil der internationalen Politik geworden. Dem Klima hilft das nicht.
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In nicht einmal einem Jahr hat sich ein neues Ritual eingespielt. Zuvor waren Klimakonferenzen eine recht öde Angelegenheit, bei der man mit großem Bedauern feststellte, dass man die früher gesetzten Ziele nicht erreicht hat, und mit treuherzigem Augenaufschlag versprach, die nun gesetzten Ziele ganz bestimmt zu erreichen. Beim UN-Klimagipfel im Dezember vergangenen Jahres redete Greta Thunberg zum ersten Mal vor einer Versammlung der sogenannten internationalen Gemeinschaft, seitdem ist ihre Predigt zu Reue und Umkehr zum festen Bestandteil des Programms geworden. Zudem versäumt es kaum ein Politiker, die Jugendbewegung für den Klimaschutz – nach Angaben von Global Climate Strike haben am Freitag vergangener Woche mehr als vier Millionen Menschen in 150 Ländern demonstriert – zu lobpreisen und zu betonen, wie sehr er sich von ihr inspiriert fühlt, bevor er zum »Aber« kommt.

Das ist in den meisten Fällen wahrscheinlich keine Heuchelei, ebenso wenig wie die dem »Aber« folgende Rechtfertigung, mehr als das Beschlossene sei für den Klimaschutz nun einmal derzeit nicht machbar. Doch in der Politik wie überwiegend auch in der Klimaschutzbewegung wird die Lösung in umweltfreundlicheren persönlichen Konsumentscheidungen und größeren Anstrengungen bei der Durchsetzung jener »marktwirtschaftlichen« Lenkungsmaßnahmen gesehen, die allein als statthaft gelten: Umverteilung von Subventionen, Einführung eines CO2-Preises und Schaffung künstlicher Märkte, etwa für den Emissionshandel.

In dieser Hinsicht gab sich UN-Generalsekretär António Guterres ungewohnt streng. Nur Regierungen, die beim Climate Action Summit in New York am Montag einen konkreten Plan vorlegen konnten, erhielten ein Rederecht. Da hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in zweifacher Hinsicht Glück. Gerade noch rechtzeitig ge­lang es der Großen Koalition am Freitag vergangener Woche, ein Klimagesetz zu beschließen. Was die ankündigten Maßnahmen zum ­Klimaschutz beitragen, prüfte Guterres nicht. Wäre er so streng gewesen, hätte zumindest kein Repräsentant einer großen Industrie­nation reden dürfen. Ähnlich verhält es sich mit den Konzernen und Banken, die ebenfalls nach New York eingeladen worden waren, um ihre Klimaschutzpläne zu präsentieren. Seit dem Abschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 wurden 1,9 Billionen US-Dollar in die Öl-, Kohle- und Erdgasbranche investiert.

So effektvoll das Auftreten Greta Thunbergs in New York gewesen sein mag – ohne eine Strategie, die das geforderte »mehr« und »schneller« konkretisiert und über eine vage Kritik an der Wachstumsideologie hinausgeht, wird die Klimaschutzbewegung weitgehend wirkungslos bleiben. Die dürftigen Ergebnisse der bisherigen Klimapolitik zeigen, dass es ohne erhebliche Eingriffe in die Produktion nicht gelingen wird, die CO2-Emissionen ausreichend zu senken. 100 Unternehmen waren den Berechnungen des Carbon Majors Report von 2015 zufolge für 71 Prozent des globalen Ausstoßes von Treibhausgasen zwischen 1988 und 2015 verantwortlich. Die in der Studie zusammengefassten staatlichen chinesischen Kohlekonzerne belegen mit 14,32 Prozent den ersten Platz, gefolgt von Saudi Aramco mit 4,5 Prozent.

Dies verweist auf zwei bislang kaum diskutierte Probleme. Vom Export fossiler Brennstoffe abhängige Regierungen wie die der Golfmonarchien und Russlands, überwiegend Diktaturen oder Autokratien, haben, was auch immer sie behaupten oder unterschreiben, kein Interesse daran, sich ökonomisch zu ruinieren. Sie sind zudem weitgehend resistent gegen Protestbewegungen, ebenso wie China, dessen staatskapitalistische Industriepolitik zwar in ­einigen Bereichen wie der Einführung der Elektromobilität fortschrittlicher ist als die des Westens, aber noch für viele Jahre die Nutzung von Kohlekraftwerken vorsieht und diese in großem Maßstab exportiert. Globale Klimapolitik muss auch Demokratisierungspolitik sein, um zumindest die Voraussetzung für wirksame Maßnahmen zu schaffen.

Wer diese Voraussetzung nutzen will, wird sich auf Dauer nicht davor drücken können, die möglichen Folgen der gängigen Klimaschutzpläne zu reflektieren. Diese basieren im Wesentlichen darauf, den CO2-Preis zu erhöhen. Stiege der tatsächlich in dem für den ­Klimaschutz notwendigen Maß, würde dies unzählige Unternehmen und ganze Branchen in die Pleite treiben. Davon spricht man nicht gern. In der etablierten Politik haben bislang allein einige linke US-Demokraten diesem Problem Rechnung getragen, ihr Green New Deal sieht die Garantie eines ausreichenden Einkommens und soziale Absicherung vor. Schafft die Klimaschutzbewegung den Schritt von der Moralpredigt zur politischen Intervention, wird sich die tödliche Umarmung durch Politik und Kapital von selbst lösen.