Brasiliens Weg in den Faschismus

»Die Demokratie ist implodiert«

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Interview Von

Als Bolsonaro kandidierte, wurden die Angriffe häufiger?
Ja. Ich ließ mich für den PT als Gouverneurskandidatin von Rio de Janeiro zur Wahl aufstellen. Danach gab es nicht nur Falschbehauptungen von rechts – sondern auch von linken, PT-kritischen Parteien wie dem PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit). Sie haben zum Beispiel behauptet, dass ich Bolsonaro unterstützen würde – was natürlich völliger Unsinn war. Als Bolsonaro dann tatsächlich die Wahl gewann, wusste ich, dass ich nicht bleiben kann. Ich hätte mein Leben und das der Menschen um mich herum riskiert. Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis über City of Aslyum, eine Organisation für bedrohte Schriftsteller in den USA, erhalten und im Dezember Brasilien verlassen.

Welche persönlichen Auswirkungen hatte das auf Sie?
Ich versuche, immer so rational wie möglich zu sein und die Situation nicht emotional an mich heranzulassen, denn die Drohungen sind eine politische Strategie. Es ist eine Strategie, unsere Glaubwürdigkeit zu zerstören. Was gerade in Brasilien passiert, ist ein Krieg gegen die Intelligenz und gegen die, die denken. Sobald man eine Gefahr für den Status quo darstellt, läuft man in Brasilien Gefahr, zur Zielscheibe zu werden.

Sie leben mittlerweile im Ausland. Was denken Sie über die dauernden schlechten Nachrichten aus Brasilien?
Ich betrachte das als Philosophin und versuche zu verstehen, welche Prozesse dahinterstehen. Ich habe das Glück, zu schreiben. Meine Lieblingsphilosoph Adorno, der zur Nazizeit im US-Exil war, schrieb: Wer keine Heimat mehr hat, dem wird wohl gar das Schreiben zum Wohnen. Ich lebe in meiner Arbeit und in meinen Büchern. Ich habe kei­ne feste Adresse, wohne in Hotels, reise herum, schlafe bei Freunden. Bald werde ich hoffentlich für längere Zeit nach Frankreich gehen.

Werden Sie nach Brasilien zurückkehren?
Ich würde gerne zurückgehen, aber ich habe dort keine Arbeit mehr, kann nicht einfach auf die Straße gehen, keinen Unterricht geben und keine Veranstaltungen besuchen. Ich würde mein Leben aufs Spiel setzen. Nein, solange sich nichts ändert, kann ich nicht zurück nach Brasilien.