Die Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland stocken

Die Selenskyj-Formel

Nach Jahren des diplomatischen Stillstands soll erneut über eine Lösung des Ukraine-Konflikts verhandelt werden. Doch bereits die Vorgespräche sind ins Stocken geraten.

Ein stolzer ukrainischer Präsident, Tränen und Umarmungen. Diese Szene bot sich Anfang September auf dem Rollfeld des Kiewer Flughafens, als 35 Ukrainer aus russischer Gefangenschaft zurückkehrten. Für den seit Mai amtierenden Präsidenten Wolodymyr Selenskyj war der Gefangenenaustausch ein Erfolg. Er hatte versprochen, die Verhandlungen mit Russland wiederaufzunehmen, die Freilassung schien ein erster Schritt.
Seit über drei Jahren hat es keine ­direkten Verhandlungen mehr zwischen der Ukraine und Russland im sogenannten Normandie-Format, also zusammen mit Deutschland und Frankreich, gegeben. Das Minsker Abkommen von 2015, das Wahlen und einen Autonomiestatus für die Ostukraine vorsieht, wurden nicht umgesetzt. Hier wollte Selenskyj Fortschritte erzielen.

 Selenskyj mag in vielen Fragen moderater auftreten als sein Amtsvorgänger, aber die Grund­ausrichtung der ukrainischen Politik der vergangenen Jahre stellt er nicht in Frage.

Unterstützung kommt insbesondere vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der im August seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin zu einem betont partnerschaftlichen Besuch empfangen hatte. In vielen EU-Staaten gibt es Bestrebungen, mit Russland wieder enger zusammenzuarbeiten, etwa mit Blick auf den Iran oder Syrien. »Unser Zerwürfnis hat unseren gemeinsamen Interessen geschadet«, sagte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian bei einem Staatsbesuch in Moskau Anfang September.

Aber warum soll nun gelingen, was seit Jahren scheitert? Die Lösung sollte in der »Steinmeier-Formel« liegen. 2016 hatte der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagen, wie man das Minsker Abkommen doch noch verwirklichen könnte: In den Separatistengebieten Luhansk und Donezk sollten Wahlen nach ukrainischen Gesetzen abgehalten werden. Sobald die OSZE diese Wahlen für regelkonform befunden habe, ­sollten die Gebiete an die Ukraine fallen und das Gesetz über ihren Sondersta­tus würde dauerhaft in Kraft treten. Dieser Plan solle die Grundlage der neuen Verhandlungen bilden, schlugen die russischen Unterhändler vor, auch die ukrainischen stimmten dem zunächst zu.