Das Ende der Tabakindustrie in Deutschland

In letzten Zügen

Seite 3
Von

Was sich viel stärker geändert hat als der Zigarettenabsatz, ist die sozi­ale Schichtung der Tabakkonsumenten: Das Deutsche Ärzteblatt hatte in einer Studie 2011 ermittelt, dass »sich in der Oberschicht der Raucheranteil von 40 Prozent Mitte der sechziger Jahre auf 19 Prozent im Jahr 2010 mehr als halbiert hatte«. In den ­»unteren sozialen Schichten« hingegen sei die Raucherquote mit etwa 34 Prozent seit Mitte der siebziger Jahre stabil geblieben. 2004 betrug ­einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums zufolge der Raucheranteil bei denjenigen, die beruflich »einfache manuelle Tätig­keiten« verrichten, 50 Prozent; auf der anderen Seite hat der Raucher­anteil bei Gymnasiasten und Studenten in­zwischen den Tiefststand in der ­Ge­schichte der Bundesrepublik erreicht.

Mittlerweile gilt der Tabakkonsum also geradezu als Stigma der sozial Benachteiligten. »Wer da rauchend auf der Straße steht, wird fast zwangsläufig der sozialen Gruppe zuge­ordnet, zu welcher auch die Bettler, Schnorrer und Penner gehören«, kommentierte die FAZ 2006 die Auswirkungen der rigiden Antirauchergesetze in den USA. Immer noch weiter zu rauchen, ist auch ein Erkennungsmerkmal jener verstockten Mittelalten, die sich einfach nicht dahin verbiegen können, die neue digital-prekäre Zeit auch noch schön zu ­finden, sondern obstinat an Sitten aus einer untergegangenen Epoche festhalten, in der eher Gewerkschaften und Unternehmerverbände die Politik bestimmten als NGOs und die segelnde Unschuld vom schwedischen Lande. Vielleicht steckt in dem Festhalten am Tabak auch die noch nicht ganz ausgerottete Erinnerung daran, was Zigarren und insbeson­dere Zigaretten kulturell einmal verkörperten.

Jedenfalls waren es seit der Entdeckung und Verbreitung des Tabaks immer die Autokraten, die die Tabakkonsumenten mit drakonischen ­Verboten bedrohten oder im Eigeninteresse übermäßig besteuerten: Man wäre versucht, eine Linie zu ziehen vom spanischen Klerus der ­Inquisition über den grausamen Sultan Murad IV. bis zu Adolf Hitler, der die in der Novemberrevolution erkämpfte Erlaubnis, beispielsweise in der Eisenbahn oder am Arbeitsplatz zu rauchen, wieder einschränkte, weil er den Tabak für ein »Rassegift« hielt, mit dem die Indianer sich für den Alkohol an den Weißen rächen wollten – aber das bedeutete mit Sicherheit, die historischen Parallelen zwischen diesen fanatischen Nichtrauchern überzustrapazieren. Eher lässt sich eine demokratisch-egalitäre Kontinuität des Rauchens festhalten: Setzte das Bürgertum das Recht, auf offener Straße Zigarren zu rauchen, in der Paulskirche gegen den preußischen König durch, so ­stehen die Emanzipationsbewegungen des Proletariats und der Frauen gleichermaßen im Zeichen der industriell hergestellten Zigarette: Ihr Konsum drückte aus, dass man, ob im Haushalt oder in der Fabrik, selbst über seinen Körper verfügen wollte, um teilzuhaben am bislang männlich-bürgerlichen Privileg des Rauchens als kontemplativer Unterbrechung des Alltags mitsamt seiner Pflichten.

Diese egalitäre Tendenz der Industriegesellschaft, die sich in der Zigarette versinnbildlichte, endet mit der Deindustrialisierung, in deren Zuge der Anteil des Arbeitseinkommens am gesellschaftlichen Reichtum ­stetig sank, während jener der Rendite aus zunächst Aktien und jetzt ­Immobilien stieg und sich die Gesundheitsbewussten von den Un­gesunden separierten. Um nicht missverstanden zu werden: Daraus ergibt sich für den, der mit dieser Entwicklung nicht einverstanden ist, nicht die Notwendigkeit, weiter zu rauchen oder es (wieder) anzufangen, denn als bloße Protestgeste wäre es das Lungenkrebsrisiko nicht wert. Notwendig wäre es aber, dem alles andere als stummen Zwang der Verhältnisse zum Nichtrauchen zu widersprechen und das Recht der Einzelnen auf kleine, sinnlose Lustbarkeiten wider das ökonomische Nützlichkeitskalkül von Krankenkassen und alerten Volkspädagogen zu verteidigen – auch wenn man selbst Nichtraucher ist.