Soziologe Diego Alejandro Restrepo Osorio über Gewalt gegen politische Aktivisten in Kolumbien

»300 ermordete Aktivisten seit 2016«

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Interview Von

Márquez und seine Mitstreiter begründeten ihre Rückkehr zu den Waffen damit, dass der kolumbianische Staat den Friedensprozess nicht umsetze. Wie berechtigt ist dieser Vorwurf?
Es gibt eine Art Doppelzüngigkeit des kolumbianischen Präsidenten Iván Duque: sein Reden bei Treffen der internationalen Gemeinschaft und das nach diesen Treffen. Während er bei internationalen Auftritten von seiner Verpflichtung auf alle Punkte des Friedensabkommens spricht, konzentriert er sich hierzulande fast ausschließlich auf die Reintegration der ehemaligen Guerilleros. Dabei haben die Inhalte des Friedensabkommens zu 90 Prozent gar nichts mit jenen Personen zu tun, die direkt am Konflikt beteiligt waren. Es geht vielmehr um eine ­Reihe von Reformen, die die strukturellen Ursachen des bewaffneten internen Konfliktes lösen sollten. Da geht es etwa um die Landverteilung und eine Lösung für die Drogenproblematik. Beide Probleme fördern den Krieg. In beiden Bereichen gibt es kaum Fortschritte. Man entwarf etwa eine Landreform, die gemeinsam mit den ­Gemeinden die Regionen entwickeln sollte, die am meisten vom Krieg ­betroffen waren. Diese Reform weckte enorme Erwartungen bei der örtlichen Bevölkerung. Es gibt aber bis heute kein Geld für ihre Umsetzung. Außerdem wurde eine Behörde, die die ­Sicherheit von ehemaligen Kämpfern und Aktivisten verantworten sollte, nie realisiert.

Der kolumbianische Präsident Iván Duque beschuldigt die venezola­nische Regierung unter Präsident Nicólas Maduro, Verbindungen zu den abtrünnigen Farc-Gruppen zu unterhalten. Duque präsentierte kürzlich auch vor den Vereinten ­Nationen einen Bericht, der diese Verbindungen zeigen soll. Wie bewerten Sie das?
Das Dokument, mit dem Duque die Verbindungen zu Venezuela belegen will, ist nicht öffentlich. Zu diesem Bericht gab es mehrere Skandale, etwa um ein Foto, das den ELN mit Kindern zeigen soll (dem ELN wurde daraufhin vorgeworfen, die Schulkinder rekrutieren zu wollen, Anm. d. Red.). Duque sagte, das Foto sei in Venezuela auf­genommen worden. Ein kolumbianisches Medium, El Colombiano, hatte das Foto allerdings bereits vor einigen Jahren veröffentlicht und erklärt, die Fotos stammten aus dem Cauca (eine Region im Südosten Kolumbiens, Anm. d. Red.). Es gibt also offenbar Unstimmigkeiten zwischen dem, was Duque sagt, und der Realität in diesem Land. Aber um Genaueres sagen zu können, müssten wir den ganzen Bericht kennen. Wir wissen allerdings, dass es Verbindungen zwischen den illegalen Gruppen in der Grenzregion gibt, die Grenze ist durchlässig. Die Gruppen bewegen sich die ganze Zeit zwischen Kolumbien und Venezuela hin und her.

Die Farc-Partei, die sich nach dem Friedensprozess gegründet hat, tritt am 27. Oktober bei den Kommu­nalwahlen an. Wie stehen Ihre Chancen?
Nicht sehr gut. Die Farc-Partei hatte viele Probleme. Eines davon sind die Vorbehalte, die viele Menschen ihr gegenüber haben – wegen des Schadens, den die Farc angerichtet haben, und der Gewalt. Die Bewegung muss stark um ihre ­Legitimation in den Augen der Bevölkerung kämpfen. Es gab auch einige interne Krisen, Abspaltungen, die ihren deutlichsten Ausdruck in der Abkehr von Iván Márquez fanden. Wir glauben nicht, dass die Partei bei den Wahlen große Chancen auf Posten hat. Die Farc haben es auch nicht geschafft, sich als Partei zu konsolidieren, ihre Basis zu vereinen, also die ehemaligen Kämpfer in den Übergangszonen. Die Aus­sichten für die Partei sind sehr schlecht.