Neurechte Denk­fabriken des Terrors

Mörderischer Mythos

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Auch der Mann, der vorige Woche in Halle nach dem gescheiterten Versuch, bewaffnet in eine Synagoge einzudringen und dort einen Massenmord zu verüben, zwei Menschen erschoss, einen davon in einem türkischen Imbiss, ­behauptete in einer vor der Tat erstellen Videobotschaft, der Feminismus führe zu niedrigen Geburtenraten, die als Begründung für eine »Masseneinwanderung« dienten. »Die Wurzel all dieser Probleme sind die Juden.« 

Die Polizei sprach bereits wenige Stunden nach dem Attentat von einem Einzeltäter. Selbst wenn der Attentäter tatsächlich keinerlei Unterstützung bekommen haben sollte: Ideen, die Rechtsterroristen zu ihrem mörderischen Handeln motivieren, entstehen nicht ohne Urheber und auch nicht einfach so im Internet. Die ideologischen Wegbereiter des rechtsextremen Terrors findet man in Deutschland in Schnellroda und in Halle. In der sachsen-­anhaltinischen Stadt betreiben die Identitären seit 2017 ein Zentrum mitsamt Wohnprojekt. Der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider unterhält in dem Haus ein Abgeordnetenbüro. In Schnellroda befindet sich das Institut für Staatspolitik (IfS) des extrem rechten Ideologen Götz Kubitschek, in dessen hauseigenem Verlag die deutsche Übersetzung von Camus’ »Le grand remplacement« erschien. Und mit seinen Akademien bringt das Institut dieses Denken in die Parlamente. Gruppen wie die Identitären propagieren diese Ideologien aktivistisch auf die Straße. Gemeinsam propagieren sie die Metaerzählung, die aus verbreiteten Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslime, Feministinnen und Linke eine in sich geschlossene Ideologie macht.

Der Austauschmythos beschreibe, so Martin Sellner, ein Führungskader der Identitären, »in kommunizierbarer und doch eindringlicher Weise das, was hinter Islamisierung, Überfremdung, Ausländergewalt etc. eigentlich« stehe. Sellner spricht von einem »Feindbegriff«, der »dazu prädestiniert« sei, »das Lager zu einen«. Der Begriff sei gewissermaßen eine Alternative zu antiquierten rassistischen Artikulationsformen der extremen Rechten. Seine Attraktivität reiche dabei weit über das einschlägige Milieu hinaus. So ergibt sich die Gefährlichkeit der Identitären nicht zuletzt dadurch, dass sie Teile der Gesellschaft erreichen, die anderen Rechtsextremen bislang verschlossen waren. Dass die von ihnen verbreiteten Ideen inzwischen nicht nur von Rechtsterroristen, sondern auch von Politikerinnen und Politikern der FPÖ und der AfD übernommen wurden, lässt den Grad der Normalisierung und Wirksamkeit identitärer Strategien erkennen. Andererseits zeigt sich daran auch, dass dem »Krieg der Worte« Taten folgen können.

Die Identitären verfolgen das Ziel ­einer »ethnisch relativ homogenen Gesellschaft«, wie sie es programmatisch vorgeben. Dass dieses Ziel in ­einer von Migration geprägten Gesellschaft nur mit extremer Gewaltanwendung erreicht werden kann, ist ihnen durchaus bewusst, wenn es auch nicht immer so offen geäußert wird. Schon Carl Schmitt, der juristische Apologet des Nationalsozialismus, auf den sich die sogenannnte Neue Rechte auch heutzutage gerne wieder bezieht, konnte sich diese Homogenität nur als die »Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen« vorstellen. Eben ­darauf zielte auch das Attentat von Halle ab.