Wahlen in Kanada

Mr. Instagram lächelt auch im Wahlkampf

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Wussten Trudeau und seine LPC bei ihrem Wahlsieg vor vier Jahren noch die meisten Angehörigen der First Nations und Inuit hinter sich, dürften nun viele Singh den Vorzug geben. Der Vorsitzende der NDP besuchte im Wahlkampf demonstrativ die Grassy Narrows First Nation in der Provinz Ontario, die seit Jahren unter den Auswirkungen der Quecksilberverseuchung von Flüssen und Seen leidet. Singh versprach sofortige Abhilfe, sollte er Premierminister werden. Seine Chancen sind mit rund 17 Prozent in den landesweiten Umfragen allerdings gering. Derzeit haben die Konservativen mit 32,4 Prozent einen knappen Vorsprung vor den Liberalen mit 31,8 Prozent. Wegen des kanadischen Mehrheitswahlrechts – das Trudeau eigentlich reformieren wollte – sind solche Zahlen jedoch nur bedingt aussagekräftig, was die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse angeht. Als wahrscheinlich gilt jedoch, dass keine Partei eine absolute Mehrheit erreicht. Trudeau könnte daher, selbst wenn er seinem Konkurrenten Scheer unterliegt, von der NDP und den Grünen toleriert eine Minderheitsregierung bilden und weiterhin an der Macht bleiben. 

Trudeau hat seit seinem Amtsantritt 2015 deutlich an Popularität verloren. Dazu beigetragen hat auch der Skandal um die international tätige kanadische Baufirma SNC-Lavalin. Das Unternehmen soll in Libyen noch zu Zeiten der Diktatur Muammar al-Gaddafis Bestechungsgelder gezahlt haben. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe soll Trudeaus Umfeld auf die Justizministerin Jody Wilson-Raybould Druck ausgeübt haben, um Ermittlung gegen die Firma abzuwenden (Jungle World 11/2019). Wilson-Raybould – die einzige Ministerin indigener Herkunft – widersetzte sich, trat von ihrem zwischenzeitlich übernommenen Posten als Ministerin für Veteranenangelegenheiten zurück und wurde von Trudeau später gar aus der LPC hinauskomplimentiert.

Auch Trudeaus Einwanderungs- und Klimapolitik passt nicht zu seinem progressiven Image. Trotz wohlklingender Tweets, in denen er die kanadische Vielfalt pries und alle, die »vor Krieg, Terror und Verfolgung« flüchteten, willkommen hieß, verschärfte seine Regierung das kanadische Einwanderungs- und Asylrecht. Zudem passt der umstrittene Plan der Regierung, eine unter Trudeau mit staatlichen Geldern erworbene Ölpipeline zwischen Alberta und British Columbia zu erweitern, nicht recht zu dem Vorhaben, den Klimawandel zu bekämpfen. Die globale Erwärmung ist nach den hohen Lebenshaltungskosten immerhin die zweitgrößte Sorge der Kanadierinnen und Kanadier in diesem Wahlkampf.

Trotz dieser Ungereimtheiten halten viele in Kanada Trudeau die Treue. ­Neben guten Wirtschaftsdaten – die Arbeitslosenquote fiel unter seiner Regierung auf 5,7 Prozent – dürfte das geschicktem politischen Marketing zu verdanken sein. Trudeau gilt als erster bekannter Politiker, der Instagram zu einem Regierungswerkzeug gemacht hat. Seine industriefreundliche Realpolitik und die sich daraus ergebenden Widersprüche übertüncht sein Wahlkampfteam geschickt mit zahlreichen Fotos und Videos, die das ­Bedürfnis bedienen, den Premierminister auf der richtigen Seite zu wissen. Sie zeigen den früheren Schauspiel- und Snowboardlehrer in den sozialen Netzwerken lächelnd mit Kindern und einfachen Bürgerinnen und Bürgern – meist begleitet von einer simplen sozialen und möglichst für alle ­politischen Lager akzeptablen Botschaft. Ob diese Strategie aufgeht, ist offen.