Personalmangel erschwert die ­Inklusion an hessischen Schulen

Streit um die Inklusion

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Hinzu kommt das Problem der Diagnostik. Derzeit gibt es an den wenigsten Regelschulen die entsprechenden Instrumente wie Fragebögen, Fach­literatur und Testverfahren – von der Fachkenntnis mancher künftiger Förderschullehrkräfte ganz zu schweigen. Weder für Sozialpädagogen noch für Regelschullehrer gehört die schulische Diagnostik  zur Ausbildung, trotzdem sollen sie die Stellen von Förderschullehrern besetzen dürfen, wenn niemand für eine Abordnung vom BFZ zur Verfügung steht.

Optimistischer schätzen Leitungskräfte in den Schulen die Neuregelung ein, wie eine Erhebung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Beispiel Bremen zeigt. Demnach sei es den Schulleitern sehr wichtig, dass Förderschullehrkräfte fest an Regelschulen angestellt werden. Der Befragung zufolge erhoffen sie sich eine bessere Unterrichtsplanung und einem intensiveren Austausch zwischen Regel- und Förderschulkräften. Letztere werden dann zu Vermittlern der Inklusion – eine Rolle, in der sie auch die GEW sieht. »Das ist nicht unsere Aufgabe«, hält die Förderschullehrerin aus dem Rhein-Main-Gebiet dem entgegen.

Im Zusammenhang mit ihrer Ein­planung im Unterrichtsbetrieb hegen die Förderschullehrer noch eine weitere Befürchtung. Wenn sie Lehrer einer allgemeinen Grundschule sind, würde nicht mehr die Leitung des BFZ, sondern die der Grundschule die Einsatzbereiche der Förderschullehrer vor­geben. So drohe, dass Förderschullehrer künftig als Lückenfüller dienen, wo es zu wenige Stellen gebe – bei den Grundschullehrern. »Wenn ich Vertretungsstunden oder Fachstunden übernehmen muss, bleibt für meine eigentliche Arbeit noch weniger Zeit«, sagt die Lehrerin.

Diese Befürchtung ist nicht abwegig. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts ist der Lehrermangel an Grundschulen bis zum Jahr 2025 das dringendste Problem der Bildungspolitik. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge werden in den kommenden fünf Jahren 26 300 Stellen unbesetzt bleiben. Der Deutsche Lehrerverband und der Verband Bildung und Erziehung bestätigen die Zahlen. Dass Förderschullehrkräfte ausschließlich ­ihren eigentlichen Aufgaben nachgehen können, auch wenn sie fester Teil eines Grundschulkollegiums sind, sieht der Gesetzentwurf in Hessen nicht vor.