Antisemitismus in Deutschland

Wo man nichts gegen Juden hat

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Es wäre vielleicht zu viel verlangt von einer Publikation, die erst kürzlich die Bemühungen deutscher Juden, die antisemitische BDS-Bewegung politisch zu ächten, in einem zweiseitigen Artikel zu frevelhaftem jüdischen Lobbyismus aufblies, inklusive unbewiesenem Geraune über eine mögliche Mossad-Beteiligung; und die knapp drei Wochen später ein Heft aus der Reihe »Geschichte« zum Thema »Jüdisches Leben in Deutschland« ausgerechnet mit einem alten Klischeebild armer Ostjuden und nicht etwa mit jungen, selbstbewussten oder berühmten Juden illustrierte. Dass eine Grundschullehrerin, die Ethik unterrichtet, zur Verteidigung ihres Sohnes ein antisemitisches Klischee bemüht und ganz selbstverständlich eine rhetorische Frage anhängt, derzufolge ja praktisch jeder so denke, ist vermutlich nicht auf den Schock angesichts der verübten Morde zurückzuführen. Derart selbstverständlich wird Judenhass online wie offline normalerweise von Menschen als Mehrheitsmeinung geschildert, in deren Umfeld antisemitische Äußerungen toleriert oder ganz selbstverständlich getätigt werden. 

»Keiner hier« habe je was gegen Juden, schrieb die jüdische Schriftstellerin ­Ramona Ambs dazu, »niemand will Antisemit sein. Man hat nur was gegen ­Eliten, gegen intellektuelle Besserwisser, gegen Kindermörder, gegen Israel, gegen Gemauschel in Hinterzimmern, gegen Kindsverstümmler, gegen Holocaustkeulen, gegen Lügenpresse, gegen Erinnerungswahn, gegen Gutmenschen, gegen Umvolkung, gegen Meinungsdiktatur und so weiter. Was können diese armen wohlmeinenden Menschen dafür, dass hinter all diesen Problemen die Juden stecken?« 

Am Montag dieser Woche wurde das Interview mit der Mutter des Täters in der Spiegel-TV-Sendung »Der Mörder und seine Mutter« ausgestrahlt, im Off-Kommentar des Beitrags wird ihre Äußerung als antisemitisch bezeichnet. Weiter gibt sie an, dass ihr Sohn sich als weißer Mann verunglimpft gefühlt habe – im Livestream hatte er sich unter anderem als Gegner des Feminismus bezeichnet, der für Verschwörungstheoretiker eine jüdische Erfindung mit dem ominösen Ziel des Bevölkerungsaustauschs darstellt. Der Pflichtverteidiger des Täters berichtet in dem Beitrag, dass sein Mandant »recht früh die Frage gestellt« habe, ob »ich Jude sei«. Als der Rechtsanwalt wahrheitsgemäß verneinte habe, habe Stephan B. gesagt, »er hätte mich dann aber auch nicht als Verteidiger abgelehnt«. Das passt zum Weltbild des Terroristen, denn ­jemand, der Juden für die heimlichen Machthaber der Welt hält, wird in seinem Wahn wohl ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass ein jüdischer und daher seiner Meinung nach immens mächtiger Anwalt ihm das beste Ergebnis im anstehenden Prozess verschaffen kann.