Antisemitismus in Deutschland

Wo man nichts gegen Juden hat

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Stephan B. ließ über sein Motiv keine Zweifel. In Zeiten, da Menschen alles, was ihnen nicht in den Kram passt, kurzerhand zu fake news erklären, heißt das allerdings nichts. Beginnt man mit der Suche nach dem vollständigen ­Namen des Täters, ergänzt die Suchmaschine die meistbenutzten Zusatzwörter, in diesem Fall automatisch »Iran«. Rechtsextreme brachten nämlich schnell die Verschwörungstheorie auf, der Mann könne unmöglich Deutscher sein. Er sei bestimmt, so wie David S., der 2016 in München bei einem rassistischen Anschlag zehn Menschen ermordet hatte, in Wirklichkeit Iraner, begann einer der verwickelten Versuche, die Verantwortung für die Morde ausländischen Bösewichten zuzuschieben. Verbreitet wurde das über soziale Medien wie Twitter. In Nazi-Chats hatten sich User bereits kurz nach der Tat darüber ausgelassen, dass es sich um eine False-Flag-Aktion handeln müsse, die einen Erfolg der AfD bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen verhindern solle. Als Beleg galt den Neonazis auch die zufällige Aufnahme ­eines Kameramanns, der Stephan B. von einem Fenster seiner Wohnung aus gefilmt hatte, nachdem er Schüsse gehört hatte. Dass in dem Video an ­einer Laterne am Straßenrand ein AfD-Plakat zu sehen war, wollten viele Rechtsextreme nicht einfach der Wahlwerbungsfreudigkeit der Partei zuschreiben, sondern als Beleg für ein großes Komplott sehen. 

Auch beim deutschen Imageboard Kohlchan, wo der Täter entgegen ­ersten Berichten seine Tat weder angekündigt noch den Link zum Live­stream veröffentlicht hatte, übte man sich in Verschwörungstheorien, wonach der Mossad, die Juden selbst oder der deutsche Staat hinter den Morden steckten. Es gab allerdings auch Widerspruch. »Immer wird von Volkszorn geschwafelt und wenn mal einer was macht, heißt es wieder Falschflagge«, bemängelte ein User, während ein anderer sein Posting mit »Heil Hitler« ­begann und schrieb, er wolle das Manifest und das Video von »unserem Helden« verbreiten, sobald er es irgendwo finde. Kohlchan war allerdings bald nicht mehr unter der herkömmlichen URL aufrufbar, vermutlich aus Angst der Betreiber vor Strafverfolgung. Stattdessen fand sich bis Montagabend dieser Woche an der Stelle lediglich eine auf Englisch formulierte Klage über die Falschmeldung diverser ­Zeitungen, denen man die publizistische Unabhängigkeit absprach, indem man »independent journalists« in Anführungszeichen setzte. 

Auf Kiwifarms, einem internationalen, der Alt-Right-Bewegung nahestehenden Board, gab es kaum User, die Stephan B. zu ihrem großen Helden ­erklärten. Das dürfte nicht nur daran liegen, dass er wegen der Videobilder nicht einwandfrei funktionierender Waffen als peinlicher Versager gilt, sondern auch daran, dass man sich dort projüdisch gibt, weil man Juden für Verbündete im Kampf gegen den verhassten Islam hält. 

Den zahlreichen Vereinnahmungsversuchen von Rechtsextremen hatte unter anderem das Berliner Büro des American Jewish Committee (AJC) nach den Anschlägen von Halle eine klare Absage erteilt. Auf Twitter schrieb das AJC Berlin, es wolle »an dieser ­Stelle nochmal eines öffentlich in Richtung der AfD klarstellen«, von deren Abgeordneten es in den vergangenen Tagen öfter »getaggt und retweetet« worden sei: »Wir haben euch nichts zu sagen und sind weder an eurer Unterstützung noch an euren hohlen Bekenntnissen gegen Antisemitismus interessiert. Ihr seid Teil des Problems, nicht der Lösung. Euch und uns verbindet nichts.«