Linker Antisemitismus

Antisemiten sind immer die anderen

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Das ist das Komfortable am Antisemitismus: Jeder und jede findet eine passende Variante, kann sie vor dem eigenen Gewissen als ­irgendwie gesellschafts- oder israelkritisch ausweisen, vermag aber zugleich andere Varianten in anderen Milieus scharf zu verurteilen. Die Kritik des Antisemitismus zielt so immer nur aufs gegnerische Lager. Die Linken und Liberalen mögen die Nazis nicht, und auch nicht deren unverhohlenen Judenhass. Die AfD schmiert ihnen dafür den Antizionismus aufs Vollkornbrot, ist aber nach Halle auch traurig, dass es diesmal keine Islamisten waren.

Was für eine Täterkonkurrenz: Mal sind extreme Rechte das Hauptproblem, weshalb man beim Bündnis »Unteilbar« auch mit Islamisten und anderen Antisemiten kollaboriert, mal sind die ­Islamisten oder die Linken die größte Bedrohung, weshalb ehemals antideutschen Irrlichtern die AfD »zuweilen gar als parlamentarischer Arm materialistischer Ideologiekritik« erscheint.

Der Antisemitismus aber ist eine Pathologie der Gesellschaft als Ganzer, und darum findet er sich in allen sozialen Milieus und politischen Lagern. Darum gilt es, nicht vorschnell zu differenzieren, weil sonst das Gemeinsame aus dem Blick gerät: der Ursprung – die irrationale Abwehr totaler Vergesellschaftung und abstrakter Herrschaft – wie auch die letale Konsequenz – der Mord an Jüdinnen und Juden.

Die unterdessen geführte Diskussion über die Medien, in denen jene aufgestachelt werden, die schließlich zur Tat schreiten, ist ein Ablenkungsmanöver, um nicht über den Antisemitismus selbst sprechen zu müssen – und darüber, dass die Täter nur stellvertretend für die noch Zögerlichen und vorgeblich Moderaten agieren. Es ist unerheblich, ob der Irrsinn auf Twitter, Facebook oder 8chan, am Stammtisch oder im Kommentarbereich von Spiegel Online ­eskaliert. Das Medium ist allenfalls eine Frage des persönlichen Geschmacks, des Komforts und der technischen Fähigkeiten. Dort bricht nur hervor, was im Mainstream bereits angelegt ist.

Darum muss der Kampf gegen den Antisemitismus in aller Kompromisslosigkeit geführt werden. Und das heißt, ihn zuerst im je ­eigenen Milieu aufzunehmen – dort also, wo es weh tut. Denn Aufklärung ist laut Max Horkheimer zuallererst Selbstaufklärung und Naivitätsverlust. Kompromisslosigkeit ist hier keine Phrase, sondern beweist sich durch eine gewisse, gut begründbare Bündnisunfähigkeit sowie durch eine trotzige Diskursunfähigkeit. Wenn dagegen in als proisraelisch geltenden linken Publikationen plötzlich auch »Israelkritiker« wohlwollend porträtiert werden und zu Wort kommen, dann ist das kein Beweis der eigenen Liberalität, kein Diskursangebot, dann wird das zu Recht als Erosion politischer Mindeststandards und als Entsolidarisierung verstanden.

So wie bisher kann es jedenfalls nicht weitergehen: Betroffenheit, Lamento, Händchenhalten, bestenfalls noch repetierende Textproduktion. »Dass es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe« (Walter Benjamin). Und auch das ist nichts Neues.