Warum Nazis in Deutschland morden können

Wenn der Staat nicht will

Dem Linksextremismus stellte sich der deutsche Staat mit aller Macht entgegen. Beim Terror von rechts passiert erstaunlich wenig.

Nachdem der Mann an den Folgen der Schussverletzung gestorben war, die er bei einem Handgemenge mit Terroristen davongetragen hatte, herrschte in der Bundesrepublik Alarmzustand. Polizisten mussten daraufhin auch privat ihre Waffe bei sich tragen. Tausende von ihnen rückten aus, um Ministerien, die Wohnungen von Politikern und bekannten Juristen zu bewachen. An vielen Orten, an denen die Behörden Unterstützerinnen und Unterstützer der Gruppe vermuteten, fuhren Polizeiwagen auf. Der Staat, das wurde deutlich, war nicht gewillt, klein beizugeben. Er nahm die Auseinandersetzung mit dem Terror an, ja, er war entschlossen, sie zu gewinnen – politisch und militärisch. Der Tote war Günter von Drenkmann, der Präsident des Berliner Kammergerichts. Die Bewegung 2. Juni bekannte sich zu der Tat vom 10. November 1974.

Es hängen keine Fotos von den 500 derzeit mit einem Haftbefehl gesuchten Neonazis beim Bäcker oder an den Bahnhöfen.

Als Anfang Oktober ein rechtsex­tremer Angreifer versuchte, in die Synagoge in Halle einzudringen und die anwesenden fast 80 Juden umzubringen, und anschließend eine Frau und einen Mann ermordete, wurde zwar überall im Land die Bewachung jüdischer Einrichtungen verstärkt. Aber verglichen mit der Reaktion des Staats auf den Mord an Drenkmann hielten sich die staatlichen Maßnahmen in Grenzen. So war es auch, nachdem 1970 sieben Bewohner des Altenheims der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Opfer eines bis heute unaufgeklärten Brandanschlags geworden waren, nachdem 1980 ein mutmaßliches Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin in Erlangen ermordet und nachdem 1992 ein Neonazi die jüdische Garderobenfrau Blanka Zmigrod in Frankfurt am Main auf offener Straße mit einer Maschinenpistole erschossen hatte. Es war so, als der NSU mordete, als 1980 ein Nazi eine Rohrbombe auf dem Oktoberfest zündete und 2000 ein anderer drei Polizeibeamte bei Dortmund erschoss. Bei all diesen und den weiteren fast 200 von Nazis begangenen Morden seit 1945 übte sich der Staat eher in Zurückhaltung. Den Kampf, zu dem er sich hätte aufgefordert sehen können, nahm er nicht an.

Es hat mehrere Gründe, warum Neonazis seit über 50 Jahren in der Bundesrepublik morden können, ohne dass der Staat ihnen mit all seinen Kräften entschlossen entgegentritt, wie er es seit den siebziger und bis in die neunziger Jahren bei der RAF und anderen bewaffneten linken Gruppen tat. Ein Grund sind offensichtlich die Opfer. Die Morde an jüdischen Rentnern, einem jüdischen Buchhändler, einer ­jüdischen Garderobenfrau, aber auch an türkischen Blumenhändlern, Punkern, Schwulen, Behinderten, Linken und Asylsuchenden werden von der Politik, dem Staat und seinen Organen offenbar nicht so wichtig genommen. Anders als die Morde am Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, am Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer oder am Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herr­hausen, werden sie nicht wirklich als politische Morde wahrgenommen.