Streit über eine Besetzung an der Humboldt-Universität

»Um eine Blamage herummanövriert«

Im Jahr 2017 besetzten Studierende für mehrere Wochen das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin (HU). Das Präsidium der HU erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Am Donnerstag vergangener Woche begann der Prozess gegen drei Studierende, denen vorgeworfen wird, an der Besetzung teilgenommen zu haben. Die studentische Selbstverwaltung in Berlin hat sich mehrheitlich mit den ­Angeklagten solidarisiert. Die Jungle World hat mit Robert Jung von der Berliner Landes-Asten-Konferenz gesprochen.
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Was ist bei dem Prozess passiert und wie ist das Ergebnis zu bewerten?
Es war ein relativ kurzer Prozesstag, voraussichtlich bleibt es auch der einzige. Die Verfahren wurden ­direkt zu Beginn gegen eine Zahlung von jeweils 300 Euro eingestellt. Darauf hatten sich Staatsanwaltschaft, Verteidiger und die Angeklagten geeinigt. Damit haben sich die HU und das Gericht ganz gut um eine Blamage herummanövriert. Es ist aber nicht dabei herausgekommen, was wir gefordert hatten, nämlich die Rücknahme der Strafanträge. Allein dass es zu dem Verfahren kam, war eigentlich schon der Schritt zu weit. An allen anderen Universitäten wurden Besetzungen in jüngerer Zeit nicht weiter verfolgt. Die HU hat es so weit kommen lassen.

Wie sieht das Verhältnis des HU-Präsidiums zur studentischen Selbstverwaltung derzeit aus?
Das Präsidium hat in den vergangenen zwei Jahren vermehrt die Autonomie der Selbstverwaltung der Studierendenschaft in Frage gestellt. So wurde beispielsweise ein Mailverteiler, mit dem der Referentinnenrat (Refrat), also der AStA, mit der Studierendenschaft kommunizieren konnte, ersatzlos abgestellt. Für Räume des Refrats wurde Miete verlangt. Das Schwerstwiegende war, dass die Leitung der HU den Refrat auf die Herausgabe der Namen der Referentinnen und Referenten verklagte, was auf eine Anfrage der AfD im Abgeordnetenhaus zurückging. Der Ref­rat hatte verlangt, dass die Namen nicht an die AfD weitergegeben werden, worauf sich die HU nicht einließ, sondern eine Verwaltungsklage einreichte. Letztlich gab es zwischen Refrat und Präsidium keine kollegiale Zusammenarbeit mehr. Die verfasste Studierendenschaft for­derte den Rücktritt des Präsidiums.

Ist es üblich, dass Probleme an der Universität mit Hilfe von Gerichten und der Polizei geklärt werden?
Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahren teilweise unverhältnismäßige Polizeieinsätze gegen Studierende an Universitäten. Dieses Gerichtsverfahren ist allerdings ein neues Level der Repression, weil Hochschulleitungen zumindest in den vergangenen Jahren keine Strafanträge gegen Studierende aufrechterhielten. Mit dem Prozess werden Studierende eingeschüchtert; Protest wird kriminalisiert und delegitimiert. Wir wünschen uns, dass interne Konflikte eben nicht durch die Staatsgewalt, sondern innerhalb der Hochschule auf Augenhöhe gelöst werden.

Warum sehen Sie Besetzungen als legitimes Mittel studentischen Protests an?
Studierende haben kaum tatsächliche Partizipationsmöglichkeiten an der Hochschule. In den meisten Fällen sind diese abhängig von Leitungsorganen oder von professoralen Mehrheiten, denn Professoren besetzen in allen Gremien mehr als die Hälfte der Sitze, Studierende nur etwa ein Sechstel. Dort kann es keine wirkliche Mitbestimmung geben, weil eine Organisation von Mehrheiten für studentische Interessen gar nicht möglich ist, auch nicht mithilfe der anderen Statusgruppen. Darüber hinaus ist eine Besetzung auch nach innen eine wertvolle Erfahrung für alle Teilnehmenden. Sie ist im Gegensatz zu dieser fremdbestimmten Hochschule und dem doch recht unfreien Studienalltag eine außerordentliche Erfahrung von studentischer Selbstbestimmung und Autonomie gegenüber Autoritäten.